sozialer, historischer und kultureller Faktor wird dabei zum Prisma, das gesellschaftliche Realität gleichsam im Brennpunkt auffängt, in symbolischer Tiefe reflektiert und durchschaubar macht.
Peter Wruck spricht von „Gegenüberstellung und Parallele" als allgemeinstem Mittel zur Formierung literarischer Strukturen sowie von Fontanes Vorliebe für zweigeteilte Begebenheiten. 8 Auch bei Betrachtung der Zeitgestaltung kristallisiert sich dieses Formprinzip heraus, das eng mit der inhaltlichen und kompositorischen Zweiteilung des Romans korrespondiert.
Der erste Teil umfaßt dabei die Kapitel 1 bis 15, den man „Geschichte einer Liebe" betiteln könnte (Pfingsten bis September). Den zweiten Teil, die Kapitel 16 bis 26, könnte man dann als „Geschichte des Verzichts" bezeichnen (September/Oktober und dreieinhalb Jahre später). Der erste Teil erscheint dabei in großer Geschlossenheit. Das Geschehen bewegt sich in gemächlichem epischen Fluß — die Liebesbeziehung hat „Zeit", sich in ihrer ganzen Tiefe zu entfalten — die entsprechenden Lebenskreise werden tief ausgelotet. Die starke Zeitraffung im Kapitel 11, wo nur von den über einige Wochen getroffenen Vorbereitungen und der Vorfreude auf den Ausflug nach Hankels Ablage erzählt wird, bereitet die Steigerung zum Höhe- und Wendepunkt atmosphärisch bereits vor. In Hankels Ablage erfolgt eine Dehnung der Zeit. Der Umschwung im Schicksal der beiden Liebenden ist fühlbar, der Abschied unausweichlich Die ansonsten chronologische Abfolge der Ereignisse wird nur im Kapitel 8 aufgebrochen. Das gleichzeitige Gespräch der Freunde Rienäckers im Klub bietet die Möglichkeit, einen Kontrastraum einzuführen, der das Geschehen reflektiert und kommentiert und als gesellschaftlichen Fall objektiviert. Auch die Angabe der Jahreszeit ist mehr als eine bloße zeitliche Fixierung. Nur einen Sommer dauerte das Glück — im September, dem ersten Herbstmonat, erfolgt die Trennung. Die Jahreszeit wird damit zugleich zu einem Symbol unerfüllten Lebensglücks. Die Phase des Verzichts, der Übergang zum zweiten Teil des Romans wird in formaler Hinsicht durch den zeitlichen Rhythmuswechsel eingeleitet. Die Sicht konzentriert sich nun besonders auf die schmerzliche Entsagungsgeschichte Bothos. Botho lebt in seinen Erinnerungen. Das Vergangene wird als Vergleichsebene in die Gegenwart projiziert — Gegenwart wird von Botho an der Vergangenheit gemessen und durch sie bewertet. Alle Kapitel beinhalten im Grunde nur noch kontrastierende Szenen zum ersten Teil. Es sind hauptsächlich Reflexionen Bothos über die inneren Folgen des Verzichts auf Glück und Lebensechtheit. Diese Gestaltung birgt in sich eigentlich zwei gegensätzliche Tendenzen. Zum einen wird in der Konzentration auf psychische Vorgänge die Entfremdung des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft gezeigt. Andererseits wird von hier aus auch eine ästhetische Schwäche des Romans mitbegründet. Das Übergewicht des Rien- äckerschen Lebenskreises läßt das äußerlich harmonische Finale, die Vernunftheirat Lenes, psychologisch unmotiviert erscheinen. Was ist in Lene vorgegangen, daß sie zu einer Heirat mit dem biederen Franke einwilligt? Wie lebt sie mit ihren Erinnerungen?
Ein großer zeitlicher Sprung von dreieinhalb Jahren erfolgt im Kapitel 17. „Drittehalb Jahre waren seit jener Begegnung vergangen, während welcher Zeit sich manches in unserem Bekannten- und Freundeskreis verändert hatte, nur nicht in dem in der Landgrafenstraße." 8 Es sind also dreieinhalb Jahre