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Deutschland.
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Wahrscheinlichkeit nach nnr allzn glücklich preisen müßte, wenn eine von ihnen die Zügel des Ehejochs für den tollen Adolf ergreifen dürfe. Mich erfüllte damals diese Äußerung mit süßem Glücksgefühl."
„Und Du schriebst nicht an den jungen Menschen und verbotest ihm alles und jedes Wiederkommen, außer mit ehrlichen Absichten?" unterbrach ich sie empört.
„Ich hatte ihm ja mein Wort gegeben," entgegnete das Sophiechen einfach, „und dann — es schien mir gemein und niedrig, ihn auch nur mit der leisesten Äußerung zu einem Schritt bringen zu wollen, den er selber freiwillig nicht zu thun gesonnen war."
Ich schwieg entsetzt über den Wust unklarer Rechtsbegriffe, falschen Edelmuts, heimlicher Begehrlichkeit in Kopf und Herzen dieses Mädchens.
Sie aber fuhr fort: „Ob ich ihn liebte, weiß ich nicht — er war der erste und der letzte, der mir von Liebe sprach, die in jeder Menschenbrnst schlummernden Begierden weckte. Ich bangte, zitterte vor seiner Rückkehr und ersehnte sie doch wieder. Und dann endlich kam der Tag. Adolf erschien, sonngebräunt von großen Fußtouren im Gebirge, schon am Morgen. Der ahnungslose Vater und Bruder behielten ihn hocherfreut zu Tische. Von Zeit zu Zeit sah er mich an, dann lag es wie ein Glimmern in seinen Angen, und seine Kniee berührten die meinen. Mir war, als müsse mir das Herz stillstehen. Als ich ihm dann wieder hinausleuchtete, riß er mich wild an sich. «Heute uacht!» flüsterte er, dann verschwand er im Dunkeln. Und fiebernd saß ich später in meiner Stube. Eltern und Geschwister schliefen schon längst den Schlaf des Gerechten. Da pochte es leise an mein angelehntes Parterrefenster, und vor mir stand er, bleich, zitternd, atemlos. Ich aber begann zu weiuen und flehte ihn um Erbarmen, doch er hatte keines. Voller Grausen und dennoch wieder voll Lust und Selbstvergesseuheit ruhte ich alsdann bis zum Dümmergrau au seiner Brust. Ich hatte mich selbst verloren und fünf lange Jahre lag ich von da in den unwürdigsten Banden.
Mir entstand seit jener Nacht die Hölle ans Erden. Wie ich vor Entdeckungen zitterte und bangte, wie mir vor den ewiglichen Folgen grauste! Kein Schlaf kam mehr in meine Augen; ich mußte ja immer wach liegen, um zu verhindern, daß Adolf, wenn er etwa käme, verräterischen Lärm mache! Oft flehte ich ihn fußfällig an, mich frei zu geben, die Stadt zu meiden. Er lachte nnr und sah mich vergnügt an: «Wo anders in der Welt find' ich ein Weib wie Dich, das mir alle Herrlichkeiten der Liebe gewährt und nichts dafür verlangt, nicht einmal meine Treue. Nie und nimmer laß ich Dich.» Und er tötete mich fast mit seinem Ungestüm. Ich selber gab mich verloren. In all der Qual und Erniedrigung aber fühlte ich's jetzt, daß ich ihn trotz allem liebte, wirklich liebte, und eben darum wies ich scheu auch sein kleinstes Geschenk zurück. Er lachte nur: «Du bist einzig in Deiner Art.» Und dann vor einem Jahre verließ er mich für immer. Er hatte keinen Beruf erwählt, als den, seine Millionen zu vergeuden. Schon weil er reich war, hütt' ich ihn ja niemals an eine Ehe mit mir mahnen können. Er ging also endlich nach Paris, nachdem unser unwürdiges Verhältnis fünf Jahre lang gewährt, merkwürdigerweise, trotz aller uns umlauernden Gefahren, un- entdeckt. Einmal erzählte ein Nachbar meinem Vater, daß ein
Dieb des Nachts über unsere Hofmauer gesprungen sei? Ich stand dabei, wähnte, daß er mich scharf bei diesen Worten an- sühe, lächelte wie blödsinnig und litt Höllenqualen. Bei jedem Besuch, den mein Vater empfing, baute ich mir schnell ein turmhohes Angstgebüude. Es war eine furchtbare Zeit. Wenn Gewissensangst, Gewissensqualen eine Schuld wie die meine büßen können, sie ist gesühnt. Am Tage nach Adolfs Abschied, seiner Abreise in die Seincstadt, war mein Entschluß gefaßt. Ich wollte und konnte, solange er mich in seiner Art geliebt, mein peinvollc Existenz kaum ertragen; nun er aber das ausgeführt, worum ich ihn so oft kniefällig gebeten, nun er von mir- gegangen war für immer, konnte ich unmöglich weiter leben. Im Spätsommer war's ein Jahr, da ging ich um vier Uhr früh, mit Hinterlassung eines Abschiedszettels an meine Eltern und Geschwister, nach dem zwei Stunden von Haus entfernten Steinteich. Der Weg war lang, ich spürte plötzlich Hunger, als ich vor dem schlammigen, grünen Wasser stand. Mutig ging's dennoch hinein. Aber das Ufer war seicht, laug' anhaltende Dürre hatte das Wasser des kleinen Binnensees halb aufgesogen. Ich war schon ein gutes Stück vom Ufer entfernt, noch immer ging mir die dunkle Flut kaum bis zu den Hüften. Da erwachte plötzlich wieder Lebensmut und Trieb mit unbezwinglicher Gewalt, und ich war auch zu feige, den Tod durch Untertauchen herbeizuführen. Ich watete aus Land zurück und mit triefenden Kleidern rannte ich wieder, zum Glück unbemerkt, nach Hanse. Dort hatten sie meinen Zettel noch gar nicht gefunden, da sie angenommen, ich Hütte, wie schon häufig, einen Morgengaug unternommen, und sich deshalb auch nicht weiter in meinem Zimmer umgeschant. Aber das Bad hatte mir wohlgethan, ich wollte wieder leben. Nach einigen Monaten erzählte uns Adolfs Vater, wie toll sich der junge Mann in den Vergnügungsstrudel des Seincbabel gestürzt, und wieder nach einigen Monaten kam uns die erschütternde Kunde seines jähen Todes anläßlich eines Duells um eine «Nana.» So bittere Thränen dieser Tod mich kostete, dennoch war er mir eine Erleichterung. Wenn sich Adolf nun dereinst vermählt und hier in K. im Erbhaus seiner Väter niedergelassen Hütte? Das Hütte ich um vieles schwerer ertragen. — Meine Jugend mit ihren zahlreichen Sünden und Schwächen liegt nun hinter mir, ich habe all meine Kraft, mein ganzes Leben fortan in den Dienst meiner Familie gestellt. Und eine jede Entsagung begehe ich willig, freudig, dem: sie scheint mir immer ein Stückchen Sühne für fast nnsühnbare Schuld. Später, wenn die Eltern tot und wir andern alle alt geworden, dann will ich auch für meine Geschwister den Haushalt in Sparsamkeit und Sorglichkeit weiterführen, und wenn ich einmal selber die Angen schließe, dann sagt ganz K. hinter mir her: Keine von allen war doch so tüchtig, so solide wie Landaus Sophiechen."
Wir waren an eine Waldlichtung gekommen. Die fernen Berglinien glänzten dunkelviolett, und immer tiefer, je schräger die Sonne stand, glühten die rotgoldenen Spütherbstblätter.
Schweigend schritten wir heimwärts. Ich wußte ihr nichts zu sagen. Aber der Himmel spiegelte sich in den Pfützen.