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Deutschland.
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(vergl. z. B. Roscher, Nationalökonomie II, 8 18, Note 1), so lag dem eine Ahnung des Richtigen zu Grunde. Vor der Erfindung des Gebrauchs von Feuer konnte der Mensch nur in einem tropischen Klima leben und gedeihen, weil er dort und nur dort an Banmfrüchten genügende Nahrung und an den Bäumen selbst Schutz gegen die Nachstellungen wilder Tiere fand, die ihm im Klettern nicht gewachsen waren. In kältere Regionen konnte der Urmensch schon darum nicht wandern, weil er dort — den Gebrauch des Feuers noch nicht ahnend — im Winter entweder erfroren oder bei dem vollständigen Mangel an Vegetation verhungert wäre (vergl. Morgan, Dnwient sooist)^ p. 20 ff.).
Mit der Erfindung des Gebrauchs des Feuers begiuut die erste Epoche der Herrschaft des Meuschen über die Natur. Jetzt ist die Möglichkeit gegeben, sich von Boden und Klima unabhängig zu machen. Der Fischfang, der sich in den in tropischen Zonen reichen Gewässern mühe- und gefahrlos bewerkstelligen ließ, tritt hinzu. Die Nahrung ist nicht mehr wie ehedem eine ausschließlich pflanzliche. Man dehnt sich an den Gewässern aus und rückt in kältere Klimate vor, da man jetzt im Winter durch das Feuer gegeu Külte, durch den Fischfang gegen Hunger geschützt ist. Bon hier bis zur ziemlich verwickelten Erfindung von Bogen und Pfeil, welche die Jagd ermöglicht, ist ein unübersehbar langer Weg, dessen Spuren wir jedoch an den palüolithischen und neolithischen Funden jüngerer Zeit ziemlich deutlich verfolgen können. Giebt es doch übrigens heute noch Stämme, deren Kulkurzustand das hier gekennzeichnete Stadium der Wildheit kaum um ein Wesentliches überschritten hat. Mit der Erfindung von Bogen und Pfeil findet der Übergang vom Zustand der Wildheit zu dem der Barbarei statt, ähnlich wie die Erfindung der Schmelzbarkeit des Eisens die Durchgangssätze von der Barbarei zur Civilisation, sowie endlich die Entdeckung des Schießpulvers das Hinauswachseu der Neuzeit über das Mittelalter darstellt.
Es wäre nun eine lockende, aber von unserem Thema zu weit ablenkende Ausgabe, wollte ich Ihnen an der Hand der grundlegenden Untersuchungen Morgans die einzelnen Entwickelungsstufen der Barbarei, als da sind: die Einführung der Töpferkunst, die Domestikation der Tiere u. s. w. ausführlich schildern. Ich widerstehe dieser reizvollen Versuchung, indem ich die sich hierfür näher Interessierenden auf die Werke von Tahlor, Me Lennan (Urinritivs inuriaA'e), Lubbock (Urelristorio tinrss und on tlls ori^i'n ob eivilisution), auf die deutschen Arbeiten von Riehl, Post, Felix, Engels, v. Maurer, Lippert und Bachofen über die Urformen der Familie, endlich und insbesondere auf Morgans pfadfindendes Werk Moment soeistv verweise, dessen Ergebnisse durch die jüngsten Angriffe Starckes („die primitive Familie") gegen Bachofens „Mutterrecht" meines Erachtens gar nicht berührt, geschweige denn erschüttert worden sind.
Diese Betrachtungen über den Urzustand der menschlichen Kultur mußten vorangeschickt werden, um für die nunmehr folgenden Ausführungen über die Urgeschichte der Familie Boden zu gewinnen. So beschämend und unser sittliches Gefühl verletzend die jetzt zu erörternden Verhältnisse sind, so dürfen wir doch die von Forschern, wie H. Maine, Post und Morgan festgestellte Thatsache nicht unterdrücken, daß die Urmenschen — vom hypothetischen Malus ganz zu schweigen — eine Ehe gar nicht gekannt, sondern in unterschiedsloser Geschlechtsgemeinschaft miteinander gelebt haben. Wie der Urzustand der Menschen überhaupt einen durchaus kommunistischen Zug hatte, so besaßen auch die geschlechtlichen Verhältnisse ein ganz kommunistisches Gepräge., Die primitive Familie bestand aus einer homogenen Masse, in welcher kaum solche rudimentäre Unterschiede, wie die zwischen Eltern und Kindern, auseinandertraten, zumal sich die Vaterschaft ohnehin niemals feststellen ließ.
Der erste Schritt zur geschlechtlichen Scheidung erfolgte in der Bildung der Blutverwandtschaftsfamilie (eonsall^uiirs llmrist- bei Morgan). Es ist dies die sexuelle Trennung nach
Generationen. Angehörige der gleichen Generation bilden da eine Ehegruppe für sich, so daß die Sumpszeugung der Geschwisterehe nicht etwa ausgeschlossen ist, sondern im Gegenteil zur Regel gehört. Niederschlägen dieser Blutsverwandtschaftsfamilie begegnet mau noch heute im System der Verwandtschaftsgrade der Malayen und Polynesier (Morgan, p. 402 s.).
Die zweithöhere Stufe der Entwickelung der Familie ist die von Morgan nach einem bestimmten Verwandtschaftssystem, dessen Spuren sich noch heute deutlich verfolgen lassen, sogenannte Puualuafamilie (Morgan, p. 425 ff.). Es ist dies der Übergang zum strengen Ausschluß von Geschwisterehen. Waren die Ehen, sofern von solchen überhaupt die Rede sein konnte, bisher en- dogam (Jncestzucht), so erhielten sie nunmehr einen exogamen Charakter. Die exogame Ehe, deren hervorstechendes Merkmal zunächst die Polyandrie ist, war aus rein Physiologischen Gründen ein großer Fortschritt. Die solchen Ehen entsprossenen Menschen waren stärker und widerstandskrüftiger. Nicht mehr wie ehedem an die Scholle gebunden, konnten die Menschen sich ausdehnen und in kältere Zonen weiterrücken. Es erfolgt nunmehr die große Spaltung in (lentes, deren weitere und spätere Absenker die Ollcrm, IllnrUrwu, Nrillns, Stämme, Völker und Nationen sind. Mit der Entstehung der (lens aber stehen wir an der Wiege der Civilisation. Die Tendenz nach Individualisierung der Ehe tritt jetzt immer schärfer hervor. In der primitiven (lens ist eine Frau die Stammmutter, der eben dadurch eine beherrschende Stellung, ein fühlbares Übergewicht zufüllt. Und sobald sich mit der Entstehung des Eigentums der naheliegende Gedanke eines Erbrechts herausarbeitete, war es durch die Eheverhültnisse gegeben, daß die Erbfolge zunächst nur auf die mütterliche Linie beschränkt wurde, zumal in jenem Zustande der Polyandrie die Vaterschaft niemals mit Sicherheit zu ermitteln war. Das ist die historische Grundlage des von Bachvfen entdeckten und von ihm sogenannten „Mutterrechts," wonach sich das ursprüngliche Erbrecht der (lens zunächst nur in mütterlicher Linie ausgebildet hat, so daß bei gewissen Völkern heute noch einzelne Ausläufer des Mutterrechts aufspürbar sind. In der vorgeschichtlichen (lens hatte die Frau keineswegs jene sklavische Stellung, die ihr der Mann in späteren Entwickelungsstusen der Familie zugewiesen hat; sie war vielmehr das rechtliche Haupt der Familie. Die Vorstellung von Amazonen ist demnach vielleicht nicht ganz leeres Hirngespinst, sondern wahrscheinlich ein mythisches Überlebst!' einer einstmals allgemein perbreiteten Anschauung, nach welcher der Frau das Übergewicht in der Familie gebühre.
Erst in einem weiteren Jndividualisiernngsprozeß der Ehe, der sogenannten Paarungsfamilie (svnckvasnimn käirrilv bei Morgan), welche den Ehrbegriff durch strengen Ausschluß der Polyandrie noch schärfer fixierte, beginnt die rechtliche Suprematie des Mannes über die Frau und findet zugleich der welthistorische Übergang vom Mutterrecht zum Vaterrecht statt. Das Eheverhültnis ist freilich auch in der Paarnngsfamilie immer noch ein ziemlich lockeres, da man ans dieser Stufe die Nachwirkungen des ursprünglichen geschlechtlichen Kommunismus noch nicht ganz zu verwischen im stände ist. Aus der Paarungsfamilie schält sich allmählich die patriarchalische Familienform heraus, wie sie uns das alte Testament etwa schildert. Das Charakteristische derselben ist eine fakultative Polygamie, jedoch so, daß der Patriarch eine — namentlich für die Erbfolge wichtige — Hauptfran besitzt, während die übrigen Frauen nur mehr zu Kebsweibern herabsinken. Die patriarchalische Familie bildet übrigens nach Morgan, p. 384, ebensowenig wie die Paarungsfamilie eine eigene Kategorie in der Ent- wickelnngsgeschichte der Familie, weil ihnen gar kein typischer Charakter innewohnt. Beide kennzeichnen sich vielmehr als bloße Übergangsformen und Durchgangsstadien zur Monogamie, die ihrerseits zweifelsohne als die höchste Ausgestaltung des Prozesses der geschlechtlichen Evolution anzusthen ist. In der Einehe hat eben jene in den Urformen der Ehe bereits deutlich zu Tage tretende Tendenz nach immer weitergreisender