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Deutschland.
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Blitzes längs des Körpers zu verstehen, muß man die That- sache im Auge behalten, daß seine zerstörende Wirkung sich da am stärksten äußert, wo er Widerstand findet, d. h. in seiner Leitung unterbrochen, in seiner Bahn anfgehalten wird. Ist man unter Umständen doch sogar, wie Stricker sehr treffend ausführt, im stände, nachträglich aus den Vorgefundenen Spuren an Körper und Kleidung die Stellung des Verunglückten zur Zeit des Unfalls zu bestimmen. Stand der Getroffene etwa an einen Baum oder einen anderen höheren Gegenstand angelehnt, so springt der Blitz an der Stelle auf den Körper über, dre mit dem Gegenstand in Berührung war, hier größere oder geringere Verletzungen an Kleidung und Haut hervorbringend. Bei seinem weiteren Weg auf der Haut hückerläßt er nur geringe Spuren, etwa in Form von rötlichen Streifen oder auch nur von strichweiser Versengnng der kleinen Härchen auf der Haut, bis er irgendwo, an den Hüften, in der Kniekehle, am Fuß, infolge der fester anliegenden Kleidung größeren Widerstand findet, wo er dann größere Zerstörungen hervorbringt. Namentlich deutlich ausgeprägt sind dieselben an der Anstrittsstelle des Blitzes, am Fußrand oder an der Fußsohle, zuweilen aber auch höher hinauf. An den Fußsohlen und vorzugsweise beiderseits au den Fußrüudern findet sich dann eine Anzahl rundlicher weißgraner Flecke, jeder derselben mit durchlöchertem Centrum und einer Umrahmung von losgelösten und teilweise angesengten Hautfetzen; ihrer Gestalt nach erinnern diese Stellen einigermaßen an die bekannten, nach beiden Seiten hin aufgeworfenen Löcher, welche der elektrische Funke in Kartenblüttern zu schlagen pflegt. Diesen Flecken entsprechende Öffnungen sind dann auch an der Fußbekleidung, den Strümpfen und Stiefeln, vorhanden. Waren letztere mit Nägeln beschlagen, so kommen weniger oder gar keine Durchlöcherungen zu stände, offenbar weil die Nägel selber den Blitz nach außen geleitet haben. Auch die Beschädigungen der übrigen Kleidungsstücke bestehen in kleinen Durchlöcherungen, die sich an den Stellen befinden, wo die Haut Verletzungen aufweist. Merkwürdigerweise haben diese Öffnungen an den Oberkleidern eine nur geringe Größe, bis höchstens einen halben Centimeter Durchmesser, während sie nach der Haut zu an Umfang zunehmen und im Hemd bis zur Größe eines Thalers entwachsen können. Die Ursache dafür ist offenbar die, daß der elektrische Strom an der schlecht leitenden Haut den bedeutendsten Widerstand findet und daher hier und in der nächsten Umgebung seine stärksten Wirkungen entfaltet. Die mehrfachen Durchlöcherungen der Kleidungsstücke an einer Stelle beweisen auch, daß der Blitz meist nicht einfach, sondern in mehreren Strahlen, ja oft in ganzen Garben die Getroffenen befällt. Befand sich der Verunglückte im Freien, fern von jedem Gegenstand, so tritt der Blitz auf dem Scheitel ein, was sich durch Zerstörung der Kopfbedeckung und Versengung der Haare kennzeichnet. Er kann nunmehr direkt auf das Gehirn übergehen und unmittelbar tödlich wirken, oder auch seinen Weg in der vorhin erwähnten Weise längs der Haut nehmen. Daß der Blitz auf dieser seiner Bahn Vorgefundene Metalle (Geld) gewöhnlich schmilzt, ist bekannt, ebenso, daß Gegenstände von Eisen (Taschenmesser) magnetische Eigenschaften annehmen können.
Was nun die Verletzungen selbst anbetrifft, so sind diese je nach der Heftigkeit des Schlages verschieden schwer. Lue können sich auf einfache Rötung der Haut, allenfalls noch in Verbindung mit Blasenbildung, beschränken, also ganz das alltägliche Bild der Verbrennung oder Verbrühung darbieten. Häufig kommen auch größere oder kleinere Blutergüsse in und unter der Haut, auch umfangreiche Zerstörungen der letzteren zu stände. Sehr seltene Ereignisse sind Knochenbrüche, und dann vorzugsweise solche der Schüdelknochen, ferner Zerreißung der Zunge, Abreißring ganzer Gliedmaßen u. a. Alle diese Verletzungen sind ausschließlich Wirkungen des elektrischen Funkens. Doch hat man daran zu deuten, daß in einzelnen Füllen die vom Blitz Getroffenen selbst auf mehrere Meter weit fortgeschlendert werden, so daß gewisse Verletzungen auch auf diesem Wege entstanden sein können. Außer allen diesen findet
man nun aber noch häufig auf der Haut der Getroffenen feine, hellrote, baumförmig sich verästelnde Streifen, die sogenannten Blitzfiguren, bei deren Anblick man den Eindruck gewinnt, als Hütte sich der elektrische Funke in der Haut selbst durch seitliche Ausstrahlungen erschöpft, und über deren Entstehung, von den Deutungen mystisch-religiöser Färbung abgesehen, auch in Fachkreisen noch bis heute die verschiedenartigsten Meinungen sich geltend machen. Einzelne halten sie für eine photographische Wirkung des Blitzes, ähnlich den Lichtenbergifchen Figuren auf dem .Harzkuchen des Elektrophors (worüber der Leser- Näheres aus dem erstem besten Lehrbuch der Physik erführt). Andere sehen in ihnen Blutstauungen in oder Blntanstritte aus den feinen Gefüßverzweigungen (Kapillaren) der Haut, oder bringen sie auch mit den Verästelungen der Nerven in Verbindung. Ja, der Berliner Gerichtsarzt Liman behauptet sogar, daß sie nichts anderes seien, als Abdrücke der Falten des Hemdes. Wo dieses dem Körper fest anliege, bleibe die Haut weiß, während an den lockeren Stellen der Blitz rote Streifen erzeuge, welches Gesamtbild daun die Figur eines Blattes vortüusche. Die ganze Angelegenheit ist, wie gesagt, auch noch bis heute eine offene Frage. Übrigens verblassen die Blitzfiguren bald und verschwinden nach einigen Tagen spurlos. Die Thatsache aber, daß die Wirkung des Blitzes so sehr verschieden sich gestaltet, einmal in leichterer, einmal in schwererer Art sich äußert, anderseits häufig die Blitzfiguren erzeugt und ein andermal anders geartete oder überhaupt nur geringe Spuren hiuterläßt, hat zu der Vermutung Veranlassung gegeben, daß vielleicht verschiedene Arten des Blitzes oder Blitzschlages existieren. Diese Annahme findet eine gewisse Bestätigung in den höchst interessanten Tierversuchen des englischen Gelehrten Richardsvn, die er mit einem riesigen Induktionsapparat vorgenommen hat. Aus denselben ergab sich, daß, je nach der Art und Weise der elektrischen Entladung, die Wirkung des Funkens eine ganz verschiedene war. In dem einen Falle ver- anlaßte er nur stärkere Verbrennungen, im anderen aber den sofortigen Tod der Versuchstiere. Indessen lehrt auch die Physik, daß die positive Elektrieitüt in Form von Strahlen, die negative in Form von Ringen sich ausbreitet. Es ist daher möglich, daß in jenen Füllen, in denen sich Blitzfiguren entwickelt haben, positive, in anderen negative Elektrieitüt im Spiel gewesen sei.
Klarer liegen die Verhältnisse der Wirkung des Blitzes auf den gesamten Organismus. Nicht immer ist dieselbe eine so intensive, daß sofortiger Tod Antritt. Als die Ursache desselben sah man noch bis in die neueste Zeit Erstickung an. Doch dürfte heutzutage die verbreitetste Ansicht die sein, daß der Grund für den augenblicklichen Tod in einer heftigen Erschütterung des Centralnervensystems, namentlich des Gehirns, zu suchen sei. Zuweilen erfolgt der Tod erst nachträglich, in einigen Stunden oder Tagen; doch sind das seltene Ausnahmen, so daß dort, wo der Tod nicht augenblicklich Antritt, wohlbegründete Hoffnung ans Erhaltung des Lebens vorhanden ist. Glücklicherweise sind die meisten Fülle überhaupt nicht tödlich. Die vom Blitz Getroffenen stürzen bewußtlos hin und bleiben unbeweglich, wie tot, mit leichenblassen und entstellten Gesichtszügen, kalter Haut, gelähmten Gliedern und schweißbedeckt liegen. Nur an der sehr schwachen Atmung und an dem allerdings stark verlangsamten Herzschlag erkennt man, daß das Leben noch nicht entflohen ist. Nachdem die Betäubung durch Minuten bis Stunden, zuweilen selbst tagelang angehalten hat, stellen sich allmählich Bewußtsein, Sprache, Empfindung und Bewegungsfühigkeit wieder ein. In schweren Fällen folgt dem Erwachen aus der Bewußtlosigkeit An mit Delirien verbundener Zustand heftiger Aufregung, der selbst einen tobsuchtartigen Charakter anuehmen kann. Aber auch bei völlig zurückgekehrter Klarheit können sich die Verunglückten des Geschehenen meist nicht erinnern, und es ist eigentümlich, daß selbst auch nur ganz leicht Verletzte weder den Blitz gesehen, noch den Donner gehört zu haben sich erinnern. Diese Schwächung des Gedächtnisses hält oft auch noch längere Zeit