Heft 
(1889) 46
Seite
750
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Deutschland

ükZ 46.

Er ist mit dem Handschuh fertig und beugt sich über sie. Daun aber, sagt er:Nein . . . wart' erst."

Er legt Hut und Stock auf den Tisch und geht hinunter in den Garten.

Nach einer Weile kehrt er wieder, eine volle rote Rose in der Hano, von der er mit dem Messer noch die Dornen ab­löst, eh' er sie ihr mit einer halb humoristischen Verbeugung überreicht.

Danke, Will!"

Sie sangt mit halb geschlossenen Angen den Duft der Blume ein und nestelt sie an ihrem Gürtel fest.

Dabei ist sie aufgestanden.

Er reicht ihr die Hand, beugt sich ein wenig nieder und küßt sie vorsichtig aus die Stirn, gerade unter die leicht sich kräuselnden blonden Haare.

Langweile Dich nicht, mein Schatz -- geh ein wenig spazieren!" ruft er ihr schon ans den Stufen der Treppe, die zum Garten führt, zu, während er nochmals znrückgrüßt.

Sie steht an der Holzbrüstnng der Veranda, von dem dichten Weinlanbe wie von einem Rahmen umgeben, lächelt ihm zu und wirft ihm eine müde Kußhand nach.

Der Kies knirscht unter seinen Schritten, die eiserne Garten­thür füllt ins Schloß und ohne daß er sich noch einmal um­gesehen, geht er den schmalen Weg die Anhöhe zur Station hinauf.

Nun ist sie wieder bis sechs Uhr allein . . .

Sie gähnt leicht, zu träge, die schlanken Finger ganz bis zum Munde zu bringen.

Dann wendet sie sich dem laut kreischenden Polly zu, der an den Gitterstüben emporklettert, mit dem starken Schnabel hineinhackt und unruhig mit dem, oben im Bauer hängenden Schaukelringe klirrt.

Sie giebt ihm ein Stückchen von dem Zucker, den das Mädchen gewohnheitsmäßig auf dem Tischchen zurück­gelassen hat, und kraut ihm in den sich sträubenden Kopf­federn. - -

Gewohnheitsmäßig! -

So ist jetzt ihr Leben.

Um zehn fährt Will nach Berlin, um sechs Uhr abends kommt er zurück. Dann setzt man sich zu Tisch. Hinterher eine Promenade - ein Besuch, zuweilen ein Paar Bekannte zur Tafel. Will in seine Zeitungen vertieft, ... sie in einem Romane blätternd, und dann vor Mitternacht schlafen gehn ...

Polly hat nach ihrem Finger gehackt, weil sie ihn über ihren Gedanken vergessen hat. Sie giebt ihm mit einem kleinen Stückchen einen vorsichtigen Schlag, daß er sich still duckt und mit den starren Augen blinkt. Dann rafft sie den weißen Morgenrock etwas zusammen und geht die Stufen hinab in den Garten, der sich den Hang hinunterzieht zum See, auf dem ein kleiner Salondampfer eilends seine schillernde Kiel­furche zieht. Das warnende Geklingel der Schiffsglocke tönt gellend durch die frische Morgenluft.

Eine Anzahl kleiner Boote, ein langes Holzfloß, und am jenseitigen Ufer einige plumpe Segelschiffe bringen etwas Ab­wechslung in diese gleichmäßige graue Wasserfläche.

Die junge Frau geht durch den Garten langsam bis zu der unteren Mauer, ein duftender Rosengarten, keusche weiße Dijon-, üppige gelbe Theerofen, schüchterne, flockige Moos­röschen, sammetne Rosomenen und voll entfaltete, noch tau­schwere, schwarzrote Plutorosen, die sich selbstbewußt von den wenigen kleinen Blättern der hohen, schlanken Stöcke abheben, hauchen ihren Blumenatem ans.

Sie nimmt die Rose aus dem Gürtel, steigt eine kleine Anhöhe hinan, von wo ans sie den sich am Seeufer hinziehen­den grauen Fahrweg erblicken kann.

Während sie einen leichten Gartenstnhl heranzieht und nach ihrem Taschentuche sucht, um den feinen grauen Staub, der hier überall lagert, abznwischen, nimmt sie den Stengel der Rose zwischen die Zähne und behält die Blume auch noch in den Lippen, als sie sich gesetzt hat, und nun über die schimmernde

Seebucht, von der es frisch heraufweht, hinüberblickt nach dem jenseitigen leichtverschleierten, hügeligen Ufer.

Wie still und einsam es rings ist, wie langweilig!

Sie langweilt sich und wie hatte sie sich gefreut, als Will die Sommerwohnung hier am Wannsee gekauft hatte.

Sie war auf dem Lande groß geworden und hatte sich in ihrem Salon so oft hinausgesehnt in die Natur. Jetzt war sie draußen, und wußte nichts mit ihrer Zeit anzufangen . . . Einen französischen Roman nach dem andern lesen, das war alles.

Sie nimmt die Rose aus dem Munde und läßt die Hände in den Schoß fallen . . .

Wie die Rosen so schwül duften, wie hier alles so ein­geengt, so konventionell ist. Die sammetartig, kurzgeschorenen Rasenflächen, die sauber geharkten, scharfabgesteckten Wege, diese peinliche Ordnung überall.

Auf dem Gute des Vaters hatte es nicht so geleckt ans­gesehen. In dem kleinen Parke wucherte das Gras in den moosbedeckten Wegen, unter den breitästigen Bäumen lagen Haufen abgebrochener, trockener Zweige.

Die Blumen waren verwildert; denn niemand hatte Zeit, sich darum zu kümmern, daß die Beete in stand gehalten wurden.

Und in dieser halben Wildnis war sie Alleinherrscherin

gewesen; ohne jede Aufsicht trieb sie sich dort den ganzen Tag umher.

Am lustigsten war es im Herbste, wenn die Erntezeit heran­nahte. In den großen Ferien kam Fritz, Pastor Krause

sein ältester, nach Hans. Er war um sechs Jahre älter als

sie; aber sie kamen prächtig miteinander ans. Sie war da­mals sechzehn Jahre alt.

Fritz hatte durchaus keine Neigung, dem Vater im Amte zu folgen; um ihn jedoch zu trösten, hatte er eine Wissenschaft erwählt, die sich gleichfalls mit dem Himmel beschäftigt und die Menschen dem Himmlischen näher bringt, die Astronomie.

Auch in seiner Ferienzeit beschäftigte er sich mit Stern­kunde; aber sie war irdischer geartet, er beschränkte seine For­schungen auf Ellens Augensterne.

Wenn die Ferien herannahten, schlug dieser das Herz, und sie konnte den Tag nicht erwarten, für den er seine An­kunft gemeldet hatte.

Dann fing ein lustiges Leben an.

Sie wanderten zu zweit durch den Buchenwald. Sie gingen pfadlos über die Felder und sahen den Knechten zu, wie das reife Korn geschnitten und eingefahren wurde. Er sang ihr seine Studentenlieder vor, solange, bis sie sie mitsingen konnte.

Zwischen dem Gute und dem Pastorhanse schlängelte sich ein Flüßchen durch. Wenn man etwa zehn Minuten seinem Laufe folgte, kam man an einen kleinen, mit Wald bestandenen Hügel, an dessen Fuße sich Zahllose dichte Hecken wilder Rosen hinzogen.

Das war ihr Lieblingsplätzchen. Sie suchten es meistens auf, wenn die Sonne sich dem Horizonte znneigte, und kehrten heim, wenn die Abenddämmerung einbrach . . .

Eines Abends hatten sie dort im Grase gesessen unter einem Strauche wilder Rosen, der sie mit seinen weißen Blüten­blättern überschüttete.

Von diesen häßlichen wilden Rosen, die nur Wert hatten, wenn sie verblüht waren und man die Hagebutten einmachen konnte, hatte Fritz plötzlich eine gepflückt und sie ihr gegeben.

Erst hatte sie ihn angesehen, und dann war sie in ein nicht enden wollendes Lachen ausgebrochen.

Nein, er war wirklich zu komisch. Ihr solch eine ekelhaft häßliche Hundsrose zu geben.

Er hatte ein verdutztes Gesicht gemacht und war ärgerlich geworden. Dann hatte er mitgelacht . . . Darauf hatte er es ihr verboten . . . Aber sie lachte immer weiter, bis er sie plötzlich zu fassen bekam und ihr drohte, sie zu küssen, wenn sie ihn noch länger anslache.

Sie war wie mit einen: Schlage still geworden und starrte