Heft 
(1889) 46
Seite
752
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Deutschland.

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den bereits erwähnten Hohltieren, und gleicht einer Seerose im verkleinerten Maßstnbe; hat aber keine Nesselfäden. Sein ganzer Leib erreicht im znsammengezogenen Zustande nur etwa die Größe eines Stecknadelkopfes.

Die innenleibliche Untersuchung dieses auch sonst sehr merkwürdigen Tieres lehrt nun folgendes. Wie die aller Hohl­tiere, weist auch seine Leibeswand drei Hanptschichten auf: eine Außenschicht, das sogenannte Hantblatt (Ektoderm), eine festere, zur Stütze dienende Mittelschicht (Mittelblatt, Meso­derm) und eine innere, verdauende Darmschicht (Entoderm). Man macht sich die Sache am einfachsten klar, wenn man sich das ganze Tier aus drei Bechern zusammengesetzt denkt, welche genau ineinander passen, dabei miteinander verkittet sind, und deren jeder eine dieser Schichten bildet. Alle drei Becher bestehen aus Zellen, die mit den ihrer Sonderleistung entsprechenden Abänderungen nach dem Muster tierischer Zellen überhaupt gebaut sind. Die Zellen der Jnnenschicht sind es nun, die durch einen ihrer Jnhaltsbestandteile, kleine, grüne Körnchen nämlich, eine auffallende Abweichung von der im Tierreiche herrschenden Regel aufweisen. Sie stimmen dadurch mit bestimmten pflanzlichen Zellen überein; denn auch diese sind nur in bestimmten Schichten des Pflanzenkörpers vor­handen.

Selbst äußerlich vollständig grüne Pflanzenteile erscheinen unter dem Schaurohr nicht gleichmäßig grün, und auch nicht von gleichmäßig grünen Zellen durchsetzt; sondern es sind bestimmte Schichten grüner Zellen vorhanden, während das übrige farblos oder andersfarbig ist. Was von den grünen Zellen nach außen zu liegt, ist jedoch stets durchscheinend; so daß das Licht ungehindert zu ihnen dnrchdringen kann. Das Gleiche gilt aber von den Grün zellen selber. Auch sie sind der Hauptsache nach farblos, nur ist ihre schleimige Jnhaltsmasse von dichteren, laubgrünen Körnern in regelmäßiger Anordnung durchsetzt. Diese sind es, denen allein die Fähigkeit der Kohlensünrezerlegnng im Lichte innewohnt; und um ihrer Aufgabe genügen zu können, wandern sie sogar, und ver­ändern Standort und Aufstellung je nach der Stärke des Lichtes.

Der Grünstoff, den sie gebunden enthalten, ist selbstver­ständlich in Wasser unlöslich; denn sonst müßte er sich, bei der Wasserhaltigkeit des ganzen Pflanzengewebes, in kurzer Zeit gleichmäßig ansbreiten, wie er dies zum Beispiel thut, wenn man ihn durch Weingeist anszieht; wobei sich die Pflanzen nach kurzer Zeit entfärben, während der Weingeist die grüne Farbe ausnimmt. Im Wasser thnn sie dies nicht; sonst wür­den sie überhaupt im feuchten Zustande jederzeit abfärben, und aller Regen müßte grün von den Baumblättern abtropfen. Noch durch viele andere Sondereigcnschaften zeichnet sich der Grünstoff der Pflanzen aus; uud alle diese hat der Grün­stoff des Siebenarmes mit ihm gemein. Es ist ganz zweifellos derselbe Stoff; und man hat deshalb lange Zeit angenommen, der Siebenarm sei im stände, im Verlaufe seines tierischen Stoffwechsels echtes Pflanzengrün zu bilden; was ein so unerhörter Fall war, daß er immer wieder neue Zweifel an der Richtigkeit der Beobachtungen erregte. Diese wurden erst dann endgültig beseitigt, als man in neuester Zeit erkannte, daß die grünen Körnchen in den Darmschichtzellen des Sieben­arms auch dieselbe lebenswerkliche Leistung erfüllten, wie die Laubgrünzellen der Pflanzenblätter; daß sie Kohlensäure zerlegten, Stärke bildeten und Sauerstoff nusschieden.*

* Man hat dieses Letztere mit Hilfe eines äußerst sinnreichen, von Cienkowsky erdachten Verfahrens erkannt, welches dem menschlichen Fvrschergeiste alle Ehre macht. Der Beweis war schwer zu führen, weil es darauf ankam, den Sauerstoff da nachzuweisen, wo er entsteht. Er ist nun aber mit Hilfe dieser sogenanntenBakterienmethode" ge­lungen. Genüsse Bakterien sind äußerst empfindlich für Sauerstoff; sie führen gewisse schwärmende Bewegungen nur bei seiner Gegenwart aus, und drängen sich da zusammen, wo sie den meisten Sauerstoff finden. Eine Bakterien enthaltende Flüssigkeit kann daher als sicheres Kenn­mittel nicht bloß für die Anwesenheit, sondern auch für die Verteilung des Sauerstoffs an bestimmten Stellen dienen: indem sie sich an diesen sofort in Menge ansammeln. Die Anwesenheit der Stärke ist sehr leicht mittels Jods nachzuweisen; durch dessen Hinzutreten sie blau wird.

Hierdurch war die Übereinstimmung der Stoffe zwar fest- gestellt, aber noch nicht erklärt; denn nun war es sicher, daß man ein echtes Tier mit znm Teil unzweifelhaft pflanzlichem Stoffwechsel vor sich habe: ein Tier, welches organische Nah­rung ans unorganischen Bestandteilen aufbauen könne. Ja es wurde sogar bewiesen, daß der Siebenarm zu den Vorteilen dieser Ernährungsweise auch deren Nachteile mit in den Kauf habe nehmen müssen. Denn das Laubgrün macht die grünen Pflanzen unabhängig von der übrigen Lebewelt, dafür aber abhängig vom Licht; und so geht es auch dem Siebenarm. Auch er kamt die Annehmlichkeiten seiner leib­lichen Lebensausrüstung nur bei Licht genießen. Oskar Hert- wig nahm zwei gleich große, luftdicht verschließbare Gefäße, füllte sie mit Wasser, und setzte in jedes eine Anzahl Sieben­arme aus. Er stellte dann das eine Gefäß ans Licht, das andere brachte er in völlige Dunkelheit. Die Luft zum Atmen, die in dem Wasser vorrätig war, war von beiden Abteilungen der Tiere bald verbraucht. Aber die, die im Lichte stau- den, erhieltest Sauerstoff genug von den Grünkörnern ihrer Darmschichtzellen her; denn diese konnten arbeiten. In dem andern Gefäße hatten sie ihre Thätigkeit einstellen müssen; sie konnten keine Kohlensäure zerlegen, und keinen Sauerstoff liefern. Als daher der vorhandene Sauerstoffvorrat verbraucht war, war diesen Tieren die Möglichkeit, weiter zu atmen, abge­schnitten. Sie erstickten.

Inzwischen hat sich der wahre Sachverhalt bezüglich dieses Falles heransgestellt.

Es ist Hertwig gelungen, festzustelleu, daß die Grünkörner, so klein sie sind, eine besondere Hülle besitzen; und zwar eine solche aus Zellstoff (Zellwandstoff). Auch dies ist ein Kennzeichen pflanzlicher Artung; im Tierleibe kommt Zellstoff nur bei einer einzigen Gruppe (den Manteltieren) vor.* Sie ist aber zugleich ein Beweisstück, daß die Körnchen trotz ihrer un­gewöhnlichen Kleinheit ans den Gliedwert einer, und zwar einer pflanzlichen, Zelle Anspruch erheben können. Eine Zellstoff- Hülle besitzen nur pflanzliche Zellen; die tierische Zelle ent­behrt einer solchen, und ist gerade darum schmiegsamer und be­weglicher; wie es der Wesenheit der Tiere angemessen ist. Aber nicht bloß die Hülle; auch den Kern hat man aufgefnnden, den jede Zelle, solange sie noch ein selbständiges Leben führt, also jedenfalls in irgend einem Zeitabschnitt ihres Lebens, als wichtigsten Bestandteil ihres Keimstoffs besitzt; und ebenso war schon seit länger beobachtet worden, daß sich die Körnchen, wie Zellen, in Hälften, in Viertel, in Achtel teilen, und sich derart vermehren; indem die Teilstücke wieder einzeln zur Größe des Ganzen Herauwachsen. Znm Überfluß erfolgt diese Tci- luug, welche ja einen Lebenszustand unbedingt voranssetzt, auch uoch, wenn der übrige Körper des Siebeuarms abstirbt. Alle anderen Gewebe seines Leibes verwesen dann, zerfallen durch Fäulnis und gehen zu Grunde; die Grünkörner allein bleiben unzerstört und leben für sich weiter. Ein solches Verhalten ist nur denkbar, wenn sie selbständige Wesen sind.

Sind sie dies aber, dann können es auch nur Algen sein. Nur auf Algen, und zwar auf die einfachsten, einzelligen Formen, passen alle Merkmale, die man an ihnen wahrnimmt.

* Nachdem diese Zeilen bereits zum Druck gegeben waren, wird es bekannt, daß dieses Merkmal auch in seiner Einschränkung (hinsichtlich der Manteltiere) nicht Stich hält. Hermann Ambronn, Professor der Botanik zu Leipzig, hat bei Gelegenheit eines Aufenthaltes auf der Zoologischen Seewärts zu Neapel die Entdeckung gemacht, daß der Zellstoff eine weit allgemeinere Verbreitung im Tierreiche, als bisher bekannt war, aufweist. Besonders gilt dies von den Glieder­tieren: Ambronn fand ihn im Panzer und in den Sehnen des Hum­mers und zahlreicher anderer Krnster; auch im Leibesgerüste der Kerfe und Spinnen; sowie bei denTausendfüßen. Unter den Weichtieren fand er ihn besonders bei Tintenfischen auf; und zwar in deren Rücken- schulpen, die unter dem Namen «O^a Ksxiaa« oderSepienschalen" im Handel bekannt sind. Eine Scheidewand nach der anderen fällt. Wird man noch immer ängstlich nach Trennungsmerkmalen suchen, die sich immer wieder als Brücken erweisen? Viel wahr­scheinlicher wird es doch, daß da, wo wir keine Brücken mehr finden, die Natur sie nur abgebrochen hat!