Erkenntnis letztendlich nur noch vertieft und bestätigt, ist das Bild der pausierenden Arbeiter vor einer Maschinenwerkstatt. Die Werkstatt wird hier nicht als soziales Umfeld, sondern als beschönigende idealisierte Produktionsidylle gestaltet. Fontane will keine industrielle Arbeitsstätte zeigen. Er schaltet die technisierte Umwelt optisch wertfrei mit der Natur gleich. Der Widerspruch zwischen Industrie und Natur ist geglättet, und die Szene dient bestenfalls der Kontrastierung. So wird dieses harmonisierte Bild von Botho auch fälschlicherweie benutzt, um seinen Entschluß vor sich selbst zu rechtfertigen. Er unterstellt dabei den einfachen Menschen aus Arroganz und Unkenntnis konservativen Ordnungssinn und leitet für sich die Lebensmaxime „Ordnung ist Ehe" ab. Ordnung als Prinzip, das über Liebe und Lebensglück steht. Die Berufung auf Ordnung als Lebenshaltung bedeutet die kompromißhafte Entscheidung Bothos für seinen adligen Gesellschaftskreis. In diesem Fall funktioniert die Idealisierung der Arbeit und Produktion in ihrem Anachronismus doch wohl kaum, wie es Peter Wruck darstellt . 11 Hier markiert sie wohl mehr eine Grenze des Realisten Fontane. Bestimmte Wirklichkeitsbereiche wie die materielle Produktion und sozialökonomische Bewegung seiner Zeit bleiben ihm verschlossen. Der soziale Charakter der Arbeit ist für ihn nicht gestaltbar. Mit der Anerkennung der Konvention unterwirft er diese zwar der Kritik, betrachtet sie aber gleichzeitig als absolut und gegeben. Doch liegen in dieser zentralen Episode zugleich auch große realistische Potenzen. Fontane erfaßt mit der Entscheidung Bothos das Typische des gesellschaftlichen Seins tief und bewegend. Diese Entscheidung ist schmerzvoll, aber konsequent, schließt sie doch den qualvollen Prozeß der inneren Entsagung ein. Es ist die Entfremdung des Menschen, der Verlust an glücklicher Lebensperspektive in der bürgerlichen Gesellschaft und die Determination der Persönlichkeit bis in die Gefühlssphäre hinein, was Fontane in überzeugender Weise gestaltet. Der Riß zwischen den sozialen Welten geht mitten durch die Menschen. Die Entscheidung Bothos ist nur ein äußerlich harmonischer Rettungsakt der persönlichen Integrität.
Mit der Betrachtung von Raum und Zeit konnte der Fortschritt in der realistischen Methode beim Übergang zum realistischen Alterswerk Fontanes belegt und differenziert bewertet werden — der Fortschritt, der darin besteht, epischen Raum und Figur aufs engste zusammenzuschließen. Über Raum und Zeit als indirekte Charakterisierung und psychologische Motivierung wird die widerspruchsvolle Einheit von Mensch und Gesellschaft künstlerisch umgesetzt. Raum und Zeit werden zum Element der sozialästhetischen Analyse. „Irrungen, Wirrungen" ist in diesem Sinne ein Zeichen dafür, wie Fontane die poetischen Mittel des Realismus bereichert hat. Zugleich verweist die vorangegangene Darstellung auf die mögliche Produktivität von Raum-Zeit-Unter- suchungen für die Textinterpretation und verallgemeinerte literaturgeschichtliche Wertung. Sie zeigt zum anderen, welche Konsequenzen die praktische Umsetzung des sonst sehr theoretischen Realismuspostulats Fontanes für die Gestaltung des einzelnen Kunstwerkes hat.
Anmerkungen
1 Zitiert nach: Reuter, Hans-Heinrich: F ontane. Bd 2. Verlag der Nation, Berlin 1968, S. 634.
2 Fontanes Werke in fünf Bänden. Bd 3. Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1983, S. 78.