Heft 
(1889) 48
Seite
771
Einzelbild herunterladen

48.

Deutschland.

Klang erhielten, den alle Laute in einem engen, eingeschlossenen Raume annehmen, da schlang er plötzlich die Arme um ihren Leib und küßte sie ans Wange, Kinn und Mund und flüsterte Worte heißer Blntwellen:Ich liebe Dich! Ich liebe Deinen Namen Sigrid, Sigrid! Deinen starken Leib, Deine weißen Zähne, Deine frische Haut, Dein blondes Haar. Ich liebe Deine Hände, ja zuweilen liebe ich am meisten Deine Hände von Deinem ganzen Wesen. Weißt Dn, warum? Ja, sie gleichen all dem andern nicht an Dir, sie sind wie etwas für sich, das von dem übrigen absticht, als gehörten sie zn einer anderen Sigrid, die Dn nicht bist und in der ich Dich noch viel höher lieben würde, und darum kann ich mich an ihnen nicht satt sehen, an Deinen Händen, den langen, schmalen, Weißen Händen. Sie duften wie Milch, die frisch gemolken worden, wie ein kleiner Kindeskörper, wie die feinen Tulpen. Ist es Deine Haut, die so duftet, ist es Deine Seele, die so dnftet? Halte ich Deine Seele in meiner Hand wie einen köstlichen, schneeweißen Apfel"

Das Dunkel öffnete sich und schloß sich hinter ihnen zu­sammen, und wieder lag die Ebene vor ihnen, in der alle Ge­genstände ihre Linien so deutlich zeichneten, wie mitten am Hellen Tage, nnd wo es jetzt so still, so atmend still war, als schliefe sie mit offenen Angen. Und Sigrids Arme lagen nm seinen Hals, und sie hielten sich umschlungen mit Händen, mit Küssen, mit Seufzern, mit zärtlich geflüsterten Worten, und der Mondschein wob seine silberne Decke über dem Brautbett ihrer Gefühle.

V.

Als Björkman nach Hause gekommen war in die kleine Giebelstube des Pastorats, die als Gastzimmer diente, saß er lange am offenen Fenster. Das Blut klopfte ihm in den Schläfen und er war voll von einer heißen, ermattenden Un­ruhe, von einem Bedürfnis anderswo zu sein, als er war. Nach und nach wurde dieses Bedürfnis zu einem Drange auf­zubrechen, wegznreisen, gleichviel wohin, wie er hierher gekommen war, auch nur um seinen Aufenthaltsort zu verändern. Aber es war dasselbe überall. Und es geschah immer wieder das­selbe. Er konnte ohne das Weib nicht sein. Sein intimstes Wesen durstete nach ihr, seine Sinne schrieen nach ihr, seine Zärt­lichkeit schmachtete nach ihren Liebkosungen, nach jener Atmo­sphäre von Wärme und Wohlsein, die nirgend zu finden ist, außer in der Hingebung des Weibes, und er sehnte sich mit jedem Jahre heißer, das ging, sich in sie hineinzuhüllen und sich in ihr zur Ruhe zn legen, wie der Vogel in seinem Nest. Wie die weißen Nebel über die Wiesen, glitt seine Kindheit und seine Jugend an ihm vorüber; seine einsame Kindheit, voll von der krankhaften Sensibilität eines zarten Körpers und einer an ihrer eigenen stummen Fülle sich verzehrenden Seele, und seine Stndentenjahre in Lund mit ihrer lärmenden Lustigkeit, mit ihren endlosen Trinkgelagen und Bellmanschen Liedern, mit den sentimental-flotten Gestalten der bemoosten Häupter, deren Bummel- und Pumpleben sich in der erlogenen akade­mischen Freiheit des erbärmlichen Rests von Jahr zu Jahr und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt abspann, mit dem Herzklopfen der ersten heimlichen nächtlichen Wege, mit der bezahlten Liebe und jener freiwillig gebotenen, klettenhast festhüngenden, für die man nicht den gleichen Preis bezahlen kann. Und lang­sam stieg wieder derselbe Ekel in ihm auf, den er damals nach

Seite 771.

und nach empfunden, bis er zu einem Druck in der Kehle wurde, der ihn zu erwürgen drohte, und er mit einem einzigen Ruck, wie der Schlafende sich ans dem Alp reißt, das alles von sich schüttelte, in einem kleinen Buschwüchterhans mitten in den smaaländischen Wäldern seine Studien beendete, und sich dann hier und dahin schicken ließ zu Brückenbauten und Nivellierungen.

Und auf diesem halben Wanderleben hatte er daun die meisten seiner ehemaligen Kameraden wieder getroffen, verbum­melte Existenzen mit Verbindungen, deren sie sich schämten, verkümmerte kleine Beamte mit beginnendem Kindersegen, der unbegrenzt zu werden versprach, fette Pastoren in stumpfsinni­gem Behagen, aufgeblasene oder abgehetzte Juristen, Reichver­heiratete mit anspruchsvollen Gattinnen, und Armverheiratete mit jenem unsicheren, verlegenen Lächeln im Gesicht, das immer etwas zu verheimlichen scheint, ungewiß, ob es ihm gelingt. Jedesmal, wenn er in ihre Häuser kam nnd ihre Schwäge­rinnen ihm zulächelten, war die nervöse Angst, in die Tret­mühle der sozialen Armseligkeit eingereiht zu werden, in ihm erwacht, und er war geflüchtet, so schnell er konnte, zurück in sein tristes, einsames, melancholisches Leben.

Wie lange sollte das dauern, wann würde das aufhören? Er fühlte, wie der Vitalitütsfond in ihm hinschwand, wie es ihm immer gleichgültiger wurde zu leben, wie die erlöschende Hoffnung zu finden, was er bedurfte, den Trieb der Selbst­erhaltung in ihm verzehrte. Aber in dem Maße, wie das Leben sich vor ihm verdunkelte, wurde der Abscheu in ihm größer und größer, die Angst in ihm wacher und wacher, sich in die Trivialität hinein betrügen zu lassen, die die gute bürger­liche Ehe in neunundneunzig von hundert Fällen ist. Er wollte ein freizügiger Vogel bleiben. Er wollte das große Glück oder gar keines. Er wollte geliebt werden ohne Vor­bedacht und ohne Hintergedanken, mit einer stolzen, wildwüch- sigen, unbekümmerten Liebe, die nach nichts, als nach sich selber und dem fragt, den sie liebt, die nichts von Eltern und Ge­schwistern und gesellschaftlichen Forderungen weiß, und für die keine Brüder und Mütter Gelegenheit machen. Das war mehr Instinkt in ihm als Reflexion und darum jedesmal wenu es soweit war zwischen ihm nnd den Doktoren-, Pasloren- und Beamtentöchtern, deren Väter ihn einluden war es vorüber.

-Er dachte an Sigrid. Und er sah ihren letzten

Blick, glücklich und sicher, und er sagte: auf morgen! Und er sah diesen Morgen sich gelblich färben und den warmen röt­lichen Wolkenranch im Osten, der ihn anlündigte. Und er dachte an den neckend fragenden Blick im Auge ihres Bruders, wenn er morgen, wie gewöhnlich nach dem Nachmittagskaffee sich dort einfinden würde, an Fräulein Holms Gekicher, an die etwas erwartungsvolle Würdigkeit in der Haltung von Sigrids Mutter, an all das stumme Fingeru und Tasten der Neugierde auf ihnen herum, das Sigrid gar nicht zuwider zu sein schien, an all die Andeutungen, daß etwas geschehen war, an die diskreten Erwartungen der Familie, noch mehr geschehen zu sehen, an das Hineingesponnenwerden in die Verwandtschaft­lichkeit gleichgültiger Menschen, an die Kugel am Fuß . . . . und die Perspektive rollte sich vor ihm auf durch eine lange Reihe von Jahren, in denen Sigrid der satten Behäbigkeit ihrer Mutter immer ähnlicher wurde-er schlug mit bei-