Heft 
(1889) 48
Seite
773
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48.

Deutschland.

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ja selbst der Stand der Gelehrten ist nicht unvertreten, doch ist es selbstverständlich der Geistlichkeit Vorbehalten, die festesten Säulen dieser Lehre zu liefern, von der man glauben sollte, daß sie ein Überbleibsel aus längst entschwundenen Zeiten sei. Daß diese Lehre auch sonst bereits eifrige Anhänger besitzt, erwies sich vor einiger Zeit bei einer großen Konferenz in Lotlr-kban, an welcher Gläubige aus Amerika, Asien und Australien, und aus sonstigen europäischen Ländern, aus der Schweiz und man denke! selbst aus Deutschland, teil- nahmen. In den einige Wochen in Anspruch nehmenden Sitzungen wurde über die wunderbarstenHeilungen" Bericht erstattet, welche die besonders Begnadeten vollbracht hatten, und auch in den Versammlungen selbst wurden Heilungen vor­genommen, durch welche nach den Berichten der Gläubigen Kranke Genesung gefunden haben sollen, an denen die Kunst der Ärzte bis dahin zu schänden geworden war. Namentlich soll sich ein Geistlicher aus Boston hervorgethan haben, der sich eines enormen Quantums des heiligen Geistes rühmen durfte, und auch ein Pastor vom Rhein zeichnete sich als be­sonders begnadet aus.

Es würde zu weit führen, wollten wir auf den weiteren Inhalt dieser Lehre hier noch eingehen, die entstehen und Ver­breitung gewinnen zu sehen, dem Jahrhundert der Aufklärung Vorbehalten gewesen ist. Das Angeführte wird eben schon ge­nügen, um den Beweis zu liefern, daß die Gemeinde der christlichen Wissenschaft" alles thut, um zu ihrer Entschul­digung wollen wir annehmen, daß es absichtslos geschieht dem Sensenmann möglichst viele Opfer zuzuführen. Denn man braucht durchaus kein Freigeist zu sein, um einzusehen, daß die Wirksamkeit dieses sogenannten heiligen Geistes denn doch eine sehr fragwürdige ist, und daß mancher Kranke, der beim Arzte noch Genesung Hütte finden können, nun diesem entzogen und dem sicheren Tode überantwortet wird mit dem tröstlichen Vorwände, daß seine Seele für den Himmel gerade reif sei. Sv stehen die Thaten dieser Gemeinde derchrist­lichen Wissenschaft" zu der eigentlichen Wissenschaft in einem direkten Gegensätze, der stark genug ist, um jeden, dem das Wohl der menschlichen Gesellschaft am Herzen liegt, zu ver­anlassen, die Sache näher ins Auge zu fasseu. Denn wenn wir auch annehmen wollen, daß lediglich bemitleidenswerte Be­schränktheit und irregeleiteter Fanatismus bei den Gläubigen dieser Gemeinde im Spiele sind, so scheint es uns doch er­forderlich, daß namentlich die berufenen Kreise allem entgegen­treten, was geeignet ist, der Allgemeinheit zum Schaden zu gereichen, und von Schaden ist entschieden das Treiben jener Gemeinde, das man nicht mit Unrecht als Medizinalpfuscherei der allerschlimmsten Sorte anzusehen hat, deren Verüber frei­lich weniger im Zucht- als im Jrrenhause unterzubringen wären.

Dieser flüchtige Blick auf die seltsamen Pächter des hei­ligen Geistes wird schon genügt haben, um dem freundlichen Leser den Beweis zu geben, daß jene Gemeinde derchrist­lichen Wissenschaft" durchaus nicht, wie ihre Anhänger viel­leicht selbst glauben mögen, der Menschheit zum Heile gereicht, sondern daß sie eine nicht zu unterschützende Gefahr bedeutet, die nicht bloß den spleeukranken anglikanischen Stamm bedroht, sondern auch für die Deutschen Beachtung verdient, da, wie angegeben, jener Wunderglaube in Deutschland gleichfalls An­hänger gefunden hat, die zu seiner Weiterverbreitung schon das Ihrige beitragen werden. Wenn wir nun auch glauben, daß der gesunde Sinn unseres Volkes gegenüber den Thorheiten derchristlichen Wissenschaft" einen skeptischen Standpunkt be­wahren wird, so haben wir doch nicht unterlassen mögen, darauf hinzuweisen, da wir der Überzeugung sind, daß vor Ge­fahren sich derjenige am besten zu schützen vermag, der sie ge­nau kennt und weiß, woher sie kommen.

Fnsueristiiüium.

Von

Otto Neumann-Hofer.

f^F^er Vorstand desAllgemeinen deutschen Frauen- Verbandes" in Leipzig hat an die Landtage aller deutschen Staaten das Gesuch gerichtet, zu gestatten, daß

1. den Frauen das Studium der Medizin an der Uni­versität freigegeben werde, resp. daß sie zu den einschlägigen Prüfungen zugelassen werden; sowie

2. auch diejenigen Studien und Prüfungen, durch welche die Männer die Befähigung zum wissenschaftlichen Lehramt erhalten, den Frauen freigegeben werden.

DerDeutsche Frauenverein Reform," dessen Sitz in Weimar ist, hat gleichzeitig an den deutschen Reichstag eine Petition abgesandt, welche nach einer sehr eingehenden und verständigen Begründung folgendermaßen lautet:

Der Reichstag wolle im Interesse einer Förderung der Erwerbsfühigkeit des weiblichen Geschlechts und ebenso im Interesse der Gesundheit vieler Tausende von deutschen Frauen und Mädchen die geeigneten Schritte thun, um im Deutschen Reiche die Zulassung des weiblichen Geschlechts zur Ausübung des ärztlichen Berufes, wie solche heute in den meisten Kultur­staaten bereits Thatsache geworden, herbeizuführen und deshalb das medizinische Studium auf deutschen Universitäten dem weib­lichen Geschlecht zugänglich zu machen."

Damit ist die Kugel wieder ins Rollen gekommen. Im Grunde bestreitet niemand, daß die wirtschaftliche Notlage der deutschen Frauen und Mädchen die Eröffnung neuer Erwerbs­zweige gebieterisch fordert. Auch giebt man zu, daß viele weibliche Patientinnen eine unüberwindliche Scheu tragen, sich in manchen Füllen einem männlichen Arzte anzuvertrauen und sich dadurch ein jahreslanges Siechtum zuziehen. Was man aber immer wieder und wieder bestreitet, ist, daß die Frauen die körperliche und geistige Fähigkeit Hütten, höhere Studien mit Erfolg zu betreiben. Lassen wir einmal jeden prinzipiellen Standpunkt beiseite und betrachten wir ein paar Thalsachen, die für sich selbst sprechen mögen.

Die Streitfrage dergelehrten Frauen" ist nicht von heute und gestern; schon in der antiken Litteratur tritt sie auf, und Molidre schrieb eine berühmte Komödie darüber; am Hofe der jungfräulichen Königin betrieben die Damen griechische und lateinische Studien, nicht minder die wundervollen Frauenge­stalten der italienischen Renaissance; Leibnitz war der Berater eines halben Dutzend sehr gelehrter Fürstinnen. Diegelehrte Frau" ist also nichts Neues; neu ist nur ihr korporatives, legales, wirtschaftliches Auftreten. Die gelehrte Bildung der Frauen war ehemals eine Zierde, ein Schmuck, fast eine Mode; heute will sie ein Beruf werden. Damals ließen sich die Frauen ihre Gelehrsamkeit von der Gesellschaft, von geistreichen und liebenswürdigen Männern bescheinigen, heute von staat­lichen Examinatoren. Wie das Telephon, der Hypnotismus, der Realismus, so sind auch die weiblichen Doctores eine specifische Signatur unserer Zeit. Wir in Deutschland haben nur Zahnürztinnen,., von denen einige rite den Doktorgrad er­worben haben; in Österreich lebt Fräulein Or. xllil. Susanna Rubinstein, eine geistvolle philosophische Schriftstellerin, ein etwas verkleinertes Nachbild der genialen Sophie Germain, die eine glänzende Denkerin und tüchtige Mathematikerin war; in der Schweiz, in Rußland, in England, in Frankreich, in Nord- und Südamerika, ich glaube auch in Italien und Skan­dinavien, giebt es eine stattliche Anzahl weiblicher Ärzte, die sich eines guten Rufes und vieler Beliebtheit erfreuen. Die Frage, ob Frauen überhaupt eine gelehrte Bildung empfangen können, scheint somit geschichtlich bereits entschieden zu sein. Zwar giebt es noch viele Theoretiker, die es bestreiten; in den siebziger Jahren, wo der Meinungskampf besonders lebhaft tobte, hatten sie sogar das Übergewicht. Damals waren die