Heft 
(1889) 48
Seite
776
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Seite 776.

Deutschland.

48.

Du wirst es bereuen, wenn es zu spät"

Nie, nie!" rief ich begeistert.Nichts werde ich fürchten

nichts bereuen; nur fort mit jedem frommen Selbstbetrug-

Wahrheit laß mich schauen!"

Du bist entschlossen?" fragte die Fee nochmals.

Entschlossen, fest entschlossen," rief ich aus.

So komm!" sagte sie, faßte mich au der Hand und führte mich in einen hellerleuchteten Ballsaal. Eine Menge Gestalten standen hier herum, sämtlich in duftige, rosenfarbene Gewänder gehüllt. Am entgegengesetzten Ende des Saales stand eine mächtige, riesengroße Gestalt, deren Formen und Züge undurchdringlich verhüllt waren, auf einem Throne. Zu dieser ging die Fee und sagte:Hier bringe ich Dir einen Jüngling, welcher Dich durchaus sehen und kennen lernen will."

Ein Jüngling?" antwortete die Gestalt mit dumpfer Stimme.Zu früh zu früh! Was will der schon von mir? Ist er denn schon mit allem anderen fertig?"

Noch nicht," entgegnete die Fee.Aber er ist fest ent­schlossen, alles andere von sich zu werfen, nur um Dich schauen zu dürfen."

So laß ihn den Rundtanz machen," antwortete die nämliche dumpfe Stimme.

Alsbald erscholl eine unterirdische Musik, und die Fee trat noch einmal zu mir heran.

Mit jeder von diesen," sagte sie, indem sie ans die rosen- farbenen Gestalten wies,mußt Du einen Rundtanz machen. Ist eine von ihnen im stände Dich noch zu fesseln, so bist Du noch nicht reif für die Wahrheit und mußt zu diesen zurück."

Aber ich darf sie doch ihrer rosenfarbenen Gewänder entkleiden?" fragte ich.

Das darfst Du," entgegnete sie.Nur eins merke Dir. Selbst dann erscheinen sie noch schöner dem menschlichen Auge, noch begehrlicher dem menschlichen Sinn und Herzen als die Gestalt der Wahrheit! Indessen, Dein Wunsch ist erfüllt, Du darfst es versuchen. Noch eins aber muß ich Dir sagen: Wenn Du mit den rosenfarbenen Gestalten fertig bist, mußt Du auch mit denen dort hinten noch tanzen."

Dabei deutete sie auf mehrere schwarzgekleidete Gestalten, die hinter den rosenfarbenen standen, nickte mir zu und verschwand.

Ich aber wurde mir bewußt, daß ich in keinem Traume mehr befangen war, sondern daß die Wirklichkeit mich umfing. Bei den Klängen der unterirdischen Musik trat ich auf die erste der rosigen Gestalten zu. Lieblich war sie ernst und schön!

Wie heißt Du?" fragte ich.

Ich bin die Freundschaft," antwortete sie.Komm, tanze mit mir!"

Und im sanftwiegenden Tanze schwebte sie in meinem Arme dahin. Sie schmiegte sich fest an meine Brust. Sie sah mir mit ihren schönen, ernsten Augen zärtlich ins Gesicht.

Fast berückte sie mich.-Aber mit kecker Hand griff

ich nach der rosenfarbenen Wolke, welche sie umschwebte, und

riß dieselbe herab.-O, wie anders war sie jetzt! Der

sanfte Ernst ihrer Augen schien mir erheuchelt eitel Selbst­sucht leuchtete aus ihren Blicken! Die unter der rosa Wolke so berückende Gestalt war ohne den Zauber derselben dürr, reizlos, hager; und als ob zugleich mit der rosa Hülle, die

ich von ihrem Körper gerissen, eine Binde von meinen Augen gefallen wäre sah ich jetzt, daß ihre Schönheit, ihre An­mut, ihr Reiz nichts gewesen war als ein Wahn von mir. Höhnisch lachte ich auf unsanft ließ ich sie aus meinem Arme.Ich wußte es ja," sagte ich,daß Du nur ein from­mer Betrug seiest!"

Das liegt an Deinem Herzen, an Deinen kalten Blicken," sagte sie.Du hast mich zu dem gemacht, was ich nun bin!"

Und weinend schlich sie von dannen.-Ich wandte

mich zu der nächsten.

Wer bist Du?"

Ich bin der Glaube," sagte sie. Und ich umfaßte sie und schwebte mit ihr dahin.

Halte mich gut fest," flüsterte sie freundlich.Mach' es mit mir nicht wie mit der Freundschaft! Es könnte Dir leid thun!"

Bah!-Ich entriß ihr die rosige Wolke.

-Und wiederum ging in demselben Moment eine Ver­änderung in meiner Seele vor. Das freudige Vertrauen, mit dem ich sie in meinen Arm genommen, schwand urplötzlich; und Von neuem fühlte ich es deutlich, daß die Veränderung, welche ich in ihren Zügen, an ihrer Gestalt wahrnahm, nicht allein an ihr sich vollzog, sondern auch iu mir in meinem Innern. Es war mir, als fühlte ich einen Schauder, wie man ihn beim plötzlichen Erwachen aus einem schönen Traume wohl empfindet es war mir, als könne das gar nicht mehr dieselbe süße Gestalt sein, die ich soeben noch in meine Arme gedrückt, und in Flammenbnchstaben stand plötzlich das WortZweifel" vor meiner Seele vor meinem Auge.

So also sah der Glaube aus, wenn man ihm das bißchen Rosentünche wegnahm!!Haha," lachte ich auf.Hinweg mit Dir!"

Und auch sie entfloh weinend.

Ich ging zu einer anderen.

Sie war bezaubernd! Wie aus Duft und Mondschein zusammengesetzt. Zart anmutig entzückend!

Wer bist Du, holdes Wesen?"

Ein Jugendtraum," antwortete sie leise, mit einer un­beschreiblich süßen Stimme.Ich gehöre zu Dir!"

Und fest schmiegete sie sich an mich. Es waren wonnige Minuten, während der ich sie in meinem Arme hielt. Aber wiederum überkam mich der Drang nach Wahrheit. Ich ent­riß ihr plötzlich den sie umschwebenden Rosenschleier und unter meinen Händen zerfloß sie in nichts! Nichts blieb von ihr übrig nichts!! Nur ein leises Schluchzen hörte ich das schien mir aber aus meiner eigenen Kehle zu kom-

Drei bezaubernde Wesen umgaben mich nun! Ich wandte mich zu dem ersten.

Wer bist Du?"

Ich bin die Hoffnung!"

Und die beiden anderen?"

Meine Schwestern; sie führen den gleichen Namen."

So kommt!" Und ich tanzte mit allen dreien.

Schone uns," baten sie, und sahen mich mit berauschend süßen Blicken an, die sich sonnig in mein Herz hinein zu stehlen schienen. Aber ich war schon zu weit gegangeu.Wahr-