(IV 268 f.)'*, in „Unwiederbringlich", wo die Kopenhagener Hofgesellschaft durch Shakespeares „Heinrich IV." belustigt zu werden wünscht (VI 109—111), auch in „Stine", wo die Witwe Pittelkow sich bewundernd an Wanda Grütz- machers Darstellung der Elisabeth in Schillers „Maria Stuart" erinnert (III 247). Professor Schmidts Haushälterin Rosalie Schmolke hat im Theater — nach eigenen Aussagen — so „manche schöne Träne" vergossen (VII 122), Mutter Möhring leidet nach einem Besuch von Schillers „Räubern" an Schlaflosigkeit (VI 246). Größere strukturelle Relevanz kommt den Laienspiel-Episoden zu, welche die Fabel des Romans vorwegnehmen oder bewerten, zumindest jedoch das Sinngefüge des Textes erweitern. Die von der Witwe Pittelkow und ihrer Freudin Wanda aufgeführte Kartoffelkomödie „Judith und Holofernes" ist in diesem Zusammenhang zu sehen (III 255—257), desgleichen die im Hause Briest anläßlich von Effis Polterabend gespielte Holunderstrauchszene aus Kleists „Käthchen von Heilbronn" (VII 187 f.) sowie Ernst Wicherts Lustspiel „Ein Schritt vom Wege", welches den Ehebruch motivieren und vorantreiben wird. Fabelkonstituierende Funktion schließlich können Zacharias Werners „Luther"-Drama in „Schach von Wuthenow" (II Kap. 2, 314—316, 329 f„ Kap. 10, Kap. 11, 339 f.) oder Ernst von Wildenbruchs „Quitzow"-Spektakel in den „Poggenpuhls" für sich beanspruchen (IV 317—329, 334f.). 5 Textimmanent besehen begegnet dem Leser Fontanes das Theater als Teil der Raum-, Zeit- und Figurengestaltung, als episches Instrument zur Erhellung versteckter Sinnpotentiale oder als symbolisches Analogon teils der Romanfabel, teils einzelner Geschehnisse oder Geschehenssequenzen/’ Die Beziehung zwischen zitiertem Stück und übergeordneter Erzählung stellt sich als Gleichzeitigkeit von Assimilation und Dissimilation, Analogie und Kontrast dar. 7 Gleich Judith treibt Stine den Geliebten in den Tod; das Verhängnis bahnt sich im Falle Holofernes' durch die sexuelle Hingabe der Frau, im Falle Waldemars durch deren Gegenteil an. 8 Effi genießt den Schritt vom Wege, ohne der glücklichen Lösung im gleichnamigen Drama zuteil zu werden. Selten bewertet der Erzähler den Sachverhalt von Analogie und Kontrast in Form von epischen Kommentaren zum eingelegten Drama; statt dessen bevorzugt er die indirekte Stellungnahme mittels Figurenkommentaren zum Stück — welche der eigentlichen Erzählerwertung durchaus zuwiderlaufen können. Die kritische Variante begegnet uns — freilich niemals ohne Anflug von Ironie — in „Schach von Wuthenow", wo die obszöne Lächerlichkeit der Luther-Travestie auf den sexuellen Faux pas Schachs und Victoires zurückweist 9 , vor allem jedoch in den „Poggenpuhls" und deren dramatischem Widerspiel, den „Quitzows".
Weit häufiger als die Parallele zwischen Roman und Stück nutzt der Erzähler die Möglichkeit der Figurencharakterisierung durch Theatermotive. 10 Das Gespräch über aktuelle Ereignisse aus dem Theater dient ihr ebenso wie die Vorliebe mancher Figuren für das Zitat — Wilibald Schmidt ist hier zu nennen 11 , selbstverständlich auch Dubslav von Stechlin. Die Charakterisierung einer Person ist im Falle Fontanes immer auch gleichbedeutend mit der Charakterisierung ihrer gesellschaftlichen Position und damit der Schicht, welcher sie angehört. Während den Briests, Treibels, Carayons und Poggenpuhls die Selbstverständlichkeit im Umgang mit der Bildungs- und Vergnügungsinstitution Theater eignet — allerdings auch die emotionale Distanz
79