Heft 
(1988) 45
Seite
81
Einzelbild herunterladen

vom Grad des Wiedererkennens der literarisch vermittelten Wirklichkeit" ab- hängen. 19 Indem der Autor bzw. der Erzähler sich auf den potentiellen Leser einstellt und einläßt und dessen Horizont widerspiegelt, verzichtet er auf Innovation und Expressivität zugunsten fiktionaler Historiographie.

Nun zu den fiktiven Schauspielern. Mit Ausnahme der Soubrette Franziska Franz inGraf Petöfy" handelt es sich hierbei um Randfiguren wie die Schau­spieladeptin Bertha Pappenheim inAllerlei Glück", die Racine-Spezialistin Alceste Bonnivant inVor dem Sturm", die farbenprächtige Zenobia inGrete Minde", die Tragödin Euphemia La Crange inGraf Petöfy", die Schmieren­komödiantin Wanda Grützmacher inStine", die burschikose Altistin Marietta Trippelli inEffi Briest", den adeligen Statisten Klessentin in denPoggen- puhls" und den unbekümmerten Liebhaber Rybinski inMathilde Möhring". Eine Zusammenschau des Fontaneschen Schauspielerpanoptikums ergibt ein gemäß den Wertmaßstäben nicht nur des 19. Jahrhunderts wenig erquick­liches Bild: Die Schauspieler sind leichtfertig (Phemi, Wanda, Klessentin, Rybinski) und ungebildet (Alceste, Phemi, Wanda), die Frauen zumeist Schma­rotzer finanzkräftiger Bourgeois oder Aristokraten (Phemi, Wanda); sie pflegen zu übertreiben und schwelgen in Kunstphrasen; Zenobia und Phemi sympathi­sieren mit dem Exotischen; Alceste, Wanda und Rybinski stilisieren das eigene Leben zur drittklassigen Theaterpose. Damit entsprechen sie dem traditions­reichen Stereotyp des Schauspielers und den damit verbundenen Vorurteilen, welche auf die Gleichschaltung von Darstellung und Verstellung, Rollenspiel und Falschspiel hinauslaufen. 20 Einzig die Soubrette Franziska Franz fällt aus der Reihe der kapriziösen, erotisch flatterhaften und dümmlichen Schauspiele­rinnen; gerade sie jedoch, die in ihrer Nüchternheit und Allürenlosigkeit Aus­nahme schlechthin ist und als solche auch Petöfy ruiniert, bestätigt die Regel der Alceste, Zenobia, Wanda und Phemi. Dem unfreiwilligen und beschämt hingenommenen Außenseitertum der Frauen, die sich, wie Franziska, Phemi und Zenobia, nach menschlichem Durchschnitt sehnen und das Defizit an Ge­sellschaftsfähigkeit mit Gutmütigkeit und fiebernder Lustigkeit wettzumachen suchen, steht das freimütige Bekenntnis Rybinskis und Klessentins zum wenig reputierlichen Weg komödiantischer Lebensbewältigung gegenüber. Während Rybinskis Partnerinnenwechsel immerhin noch einen Rest von Bedrohung offiziös-bigotter Moralbegriffe in sich birgt darauf läßt auch die empfindliche Reaktion Mathildes auf den Schauspieler schließen (vgl. VI 253 f., 261, 264), sind die weniger lustvollen als notgedrungenen Liebeleien Phemis und Wan- das Ausdruck davon. Sexuelle Verfügbarkeit auf seiten der Frau erscheint sexuellem Vergnügen ebenso gegenübergestellt wie passiv-resignierte Ein­fügung in mißliche Gegebenheiten deren aktiver Bewältigung. Angesichts dessen erstaunt die Scheu des Erzählers vor kritischer Stellungnahme zu­gunsten ironischer Apercus, welche auch den Umgang der übrigen Figuren mit dem Bühnenvölkchen bestimmen. So bleibt das historische Ressentiment gegen­über dem Schauspieler fiktiv unangetastet, dessen minuziöse Darstellung im Roman ohne emanzipatorischen Impuls.

Das Theater in der Trivialliteratur des späten 19. Jahrhunderts

Massenhafte Produktion und Distribution, Unterhaltsamkeit bei gleichzeitiger Künstlichkeit, Konsumtion statt interesselosen Wohlgefallens, Konformität im

81