Heft 
(1988) 45
Seite
82
Einzelbild herunterladen

Gegensatz zu kritischer Reflexion sowie schematische Variation nach einem vorgegebenen Thema gehören, so die Ergebnisse der Trivialliteraturforschung, zu den notwendigen Eigenschaften von Trivialität. 21 Auflage, Aufmachung und Tendenz der 1853 von Ernst Keil gegründeten illustrierten Familienzeitschrift Die Gartenlaube" nehmen sich wie ein eigens zum Zwecke der Veranschau­lichung von Trivialität erfundenes Beispiel aus. Hinsichtlich unseres Themas wurde ein repräsentatives Corpus von Fortsetzungsromanen und Erzählungen derGartenlaube" erstellt, wobei aus den 21 Jahrgängen zwischen 1878 und 1898, den Erscheinungsjahren des ersten bzw. letzten Fontane-Romans, ins­gesamt 12 (d. i. mehr als die Hälfte) mit einer Verteilung von 6:6 (18781883, 18931898) eingesehen wurden. Im betreffenden Zeitraum belieferten 107 Autoren dieGartenlaube" mit 193 Erzählungen, Novellen und Romanen. Ihren Inhalt bestimmen Liebes-, Ehe- und Familienprobleme, wobei der soziale, ört­liche oder zeitliche Kontext variiert werden. In 14 der untersuchten Romane konnten Theatermotive aufgespürt, 10 davon sogar als Theaterromane im eigentlichen Sinn bezeichnet werden. 22 Die Autoren üben sich dabei vornehm lich am realistischen Detail berühmte (und zwar ausschließlich berühmte!) Namen appellieren an das Bildungsbewußtsein des Lesers, so etwa Wagner und Shakespeare, Schiller und Goethe. Darüber hinaus kommt den Episoden die Funktion struktureller Wendepunkte, kontrastiver Sinnbezüge und paral­leler Verweiszusammenhänge zu. Das Theater fungiert zumeist als Ort des Vergnügens und der Repräsentation für Adel, Besitz- und Bildungsbürgertum. In acht der 193 Romane stehen Schauspieler oder Sänger im Mittelpunkt des erzählerischen Interesses. 22 Teils gewinnen sie die bislang im Bürgertum ver­ankerten Protagonisten für den Künstlerberuf, 23 teils stellen sie durch eklatante charakterliche Mängel die moralische Fragwürdigkeit ihres Berufes unter Beweis. 2 4 Innerhalb der einzelnen Berufssparten und Rollenfächer dominieren Tenöre und Sopranistinnen, gefolgt von Liebhaberinnen und Naiven. Das Übergewicht der Musikdramatik über das Sprechtheater entspricht dabei der auch historisch nachzuverfolgenden außerordentlichen Beliebtheit der Oper und ihrer Subgattungen. 2 5

Vergleich

Sowohl bei Fontane als auch in den Romanen derGartenlaube" bleibt die Thematisierung zeitgenössischer Dramentheorie ebenso ausgeblendet wie Fra­gen der Organisation, der Finanzierung, des Spielplans oder der personellen Gliederung von Theatern. 27 In beiden Fällen beschränken sich die Autoren auf die Darstellung (bzw. Erwähnung) von Text und Interpret, Drama und Schau­spieler. Trotz aller Unterschiede in der quantitativen Verteilung Fontane bevorzugt die Stücke Schillers und Sheakespeares, die Autoren derGarten­laube" die Opern Wagners haben die textinternen Entlehnungen aus der Geschichte der Dramatik sowohl das Signum der Klassizität als auch den Erfolg gemeinsam. Zwar haben Theatermotive ihren festen Ort in der Schemaliteratur der Zeit, deren Fülle ist jedoch als epische Eigenheit Fontanes anzusehen. Dies dürfte, neben biographischen Ursachen, in den Voraussetzungen und Bedürfnissen der intendierten Leser begründet liegen. Der Bildungsstand der vergleichsweise kleinen Gemeinde theaterkundiger Fontane-Kenner* dürfte sich von jenem derGartenlaube"-Leser nur der Informationsmenge nach

82