Heft 
(1889) 51
Seite
816
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Seite 816. Deutschland. 51.

Von ihremSchatz" aber ließ sie winen Dreier, blieb ruhig und hartnäckig. Hermann versuchte alle Mittel der Überredung; er schmeichelte, er sagte ihr zuckersüße Artig­keiten; seine kratzige Stimme schmolz, seine listigen Angen blin­zelten zärtlich. Alles vergeblich! Endlich brach er los:

Herr, Gott, über Sie aber auch! . . . Wie kann man bloß so verstockt sein! . . . Bedenken Sie doch nur, wenn Sie sterben, Hab' ich nichts . . . rein gar nichts! Ich Hab' Sie umsonst gesüttert und Ihre Schwester kriegt alles. Ist das nicht lächerlich?"Da kann man wirklich wütend werden! . . . Und seh'n Sie, ich Hab' Sie doch so gern! . . . Für Sie scheu' ich keine Ausgaben . . . Kellner, zahl'n!"

Dorothea wiederholte ihren alten Reim:Nein, nein,

ein Testament mach' ich nicht. Man soll nichts berufen, am allerwenigsten den Tod."

Wahrhaftig," rief er im Zorn,man mvcht' denken, Sie fürchten, ich vergift' Sie, wenn Sie ein Testament machen . . . bloß um Ihr Geld zu haben!"

Wer kann wissen" sagte sie, den Kopf wiegend, mit dem schläfrigen Rhythmus, der den alternden Frauen eigen ist. Ich Hab' gestern noch im Lokal-Anzeiger unter Kriminelles eine Geschichte gelesen ..."

Nn aber schlag' einer lang hin," polterte Hermann heraus.Schöne Liebe das! Wenn Sie mich für einen Mörder ansehen, dann heiraten Sie mich doch lieber nicht! . . . Na, ich sage ... die abergläubischen Frauenzimmer! Ich seh' schon, heute ist mit Ihnen gar nicht zu reden gar nicht!"

Dorothea warf den Kops in den Nacken, so daß ihr Doppelkinn hervorqnoll, und antwortete nicht mehr.

Sie gingen. Er begleitete sie nach Hause. Die Haken­nase emporgehoben, die Angen glasig ins Weite gerichtet, die dürre Unterlippe zwischen den Zähnen, ging er schweigend mit eigensinnigen ruckweisen Schritten neben ihr, während die Schöße seines zu weiten Rockes um seine dünnen Schenkel schlotterten. Er fühlte, wie es in ihm wurmte und bohrte.

Keine Gütergemeinschaft . . . kein Testament . . . kein eig'nes Geschäft . . . kein nichts!" zischte er von Zeit zu Zeit durch die Zähne, ohne ihr eine Entgegnung zu entlocken.Da werden wir uns doch noch sehr besinnen!"

An der Hausthür wandte er sich mit einem beleidigten Guten Abend" um. Er schlug den Weg nach einer Weiß­bierstube ein, immer zwischen den Zähnen murmelnd:

Nein, so ein Frauenzimmer ... so eine gemeine Seele. . . nicht mal das bißchen Geld will sie mir geben ... da soll doch ..."

Er war auf dem Punkt zu brechen. Aber allmählich ge­wann er wieder Mut. Er überlegte und vertraute aus die Zu­kunft. Er hegte die unbestimmte Hoffnung, was ihm Fräulein Töpfer verweigerte, würde ihm Frau Steinert bewilligen. Vor­derhand könnte er sich mit der guten Haushälterin begnügen, die sie ja zweifellos war. Sie hat immerhinGeld auf der Bank" das will doch was heißen! Und schließlich wird es ihr verführerischer erscheinen, Prinzipalin tituliert zu werden, alsFrau Handlungsdiener."

Sie dagegen überlegte, sie würde nicht mehrin Stel­lung" sein bei fremden Leuten, bei alten eigensinnigenKnicke-

die so manchmal unappetitlich waren, sie würde ihre eigene Herrin und eine Respektsperson sein, das heißt, die Frau eines Mannes mit 2400 Mark Gehalt und 600 Mark Neben­einkommen.

Am 31. Mai versandten Fräulein Johanna Dorothea Töpfer und Herr I. C. H. Steinert ihre Verlobungskarten, auf denen zwei Herzen, von einem Pfeile durchbohrt, ver­bluteten.

Die Bewegung der deutschen Kriminalität.

Von

Luörvig Irrkö.

(^O^ührend die Betrachtung der statistischen Ergebnisse der deutschen Strafrechtspflege in den Jahren 1882 bis 1887 stets zu dem unerfreulicheu Resultate führte, daß die verbrecherische Thütigkeit des deutschen Volkes nicht nur keine Verminderung, sondern vielmehr eine intensive Ver­mehrung aufweise, scheint die Betrachtung der statistischen Er­gebnisse für das Jahr 1888 zu der Hoffnung berechtigen zu wollen, daß fürs erste die Zeit der Zunahme der strafbaren Handlungen in Deutschland vorüber ist. Nach der von dem Reichsjustizamt in Verbindung mit dem statistischen Amt ver­öffentlichten Kriminalstatistik, einer musterhaften, allen Ansprüchen genügenden statistischen Arbeit, wurden wegen Verbrechen und Vergehen gegen die Reichsgesetze im Jahre 1882, dem Ans­gangsjahre unserer Betrachtungsperiode, 329068 Personen ver­urteilt, in den fünf folgenden Jahren 330128, 345977, 348087, 353000, 356357. Dieser stetigen Vermehrung der Zahl der bestraften Personen steht der im Jahre 1888 kon­statierte Rückgang bedeutsam gegenüber; die bestraften Personen betrugen in diesem Jahre 350666, also 5691 weniger wie im Vorjahre. Um die Bedeutung dieses Rückganges in sozialer, insbesondere in sozialethischer Beziehung zur Genüge würdigen zu können, müssen wir die einzelnen Kategorieen der Delikte betrachten und prüfen, ob sich die rückläufige Bewegung in allen oder nur in einzelnen derselben geltend macht. Diese Prüfung zeigt nun, daß der Rückgang in erster Linie und hauptsächlich der sehr starken Verminderung der strafbaren Handlungen gegen das Vermögen znzuschreiben ist, welche aller­dings nicht erst seit 1887, sondern schon seit einigen Jahren beobachtet werden kann; von den 5691 Personen, welche 1888 weniger verurteilt wurden als im Vorjahre, kommen 2093 auf seltener begangene Verbrechen und Vergehen gegen das Ver­mögen, eine Thatsache, die der Bedeutung und Stellung, welche die Vermögensdelikte im Rahmen der Kriminalität der west­europäischen Völker einnehmen, durchaus entspricht. Der enge Zusammenhang zwischen den sozialen Zuständen, insbesondere den wirtschaftlichen Verhältnissen und der Kriminalität, wird durch diese Thatsache vollkommen erwiesen. Während zu Be­ginn der achtziger Jahre die Vermögensdelikte infolge der un­befriedigenden wirtschaftlichen Verhältnisse von Jahr zu Jahr stiegen, bewirkte die Besserung, die in Ansehung dieser seit Mitte dieses Jahrzehntes eintrat, je länger je mehr eine Verminde­rung jener; der alte Satz eines französischen Kriminalisten und Statistikers, daß das Verbrechen das Produkt des Pauperismus sei, bewahrheitet sich, wenigstens bezüglich der Vermögensdelikte, wieder einmal in vollem Maße, und wir können auf Grund der deutschen Statistik ganz Wohl behaupten, daß jede Mark, um welche die Preise der für die Lebenshaltung der Massen maßgebenden Nahrungsmittel zurückging, das Budget der Dieb­stähle, der wichtigsten aller Vermögensdelikte, verminderte, jede Mark, um welche dieselben stiegen, es dagegen erhöhte. Auch wenn die Besserung der wirtschaftlichen Zustände, welche wir

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