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Deutschland.
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Hier führt ein jeder Wagen seine Kraftquelle in Gestalt einer kräftigen Accumulatorbatterie mit sich, welche während einer gewissen Zeit zur Bewegung des Wagens ausreicht, dann aber an einer bestimmten Stelle, etwa im Depot der Straßenbahn, gegen eine neue, inzwischen geladene umgewechselt wird. Hierbei hat jeder Wagen seine volle Selbständigkeit und Unabhängigkeit, sowohl von allen übrigen Waggons, als von dem städtischen Leitungsnetz, was unter Umstünden, etwa beim Schadhaftwerden der Leitung, von großem Vorteil ist. In Paris ist seit dem Beginn dieses Jahres eine derartige Straßenbahn im Betrieb; sie verkehrt zwischen La Madeleine und Levallois- Perret mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit der Wagen von elf Kilometer in der Stunde; in jedem, fünfzig Passagiere fassenden Waggon befindet sich eine Batterie von hundertacht Accumulatoren, deren Gesamtgewicht 33^ Centner beträgt. Freilich ist mit dem Laden und Entladen der Accumulatoren stets ein gewisser Verlust an elektrischer Energie verbunden, doch kommt derselbe gegenüber den mancherlei Vorteilen dieses Systems kaum in Betracht, zumal die Leitung der elektrischen Ströme auf weitere Entfernungen gleichfalls mit Verlusten verknüpft ist. Der schwerwiegendste Grund gegen den allgemeineren Gebrauch der Accumulatoren ist noch immer ihr verhältnismäßig, d. h. im Vergleich zu ihrer Lebensdauer, hoher Preis, und, beim Betrieb von Fahrzeugen, auch ihr schweres Gewicht, doch steht es außer Zweifel, daß man die Apparate von diesen unangenehmen Eigenschaften noch bis zu einem gewissen Grade befreien wird, und alsdann wird ihre Benutzung für die Centralstellen eine weit ausgedehnte und in hohem Maße nutzbringende werden. In diesem Falle aber würden die Elektricitütswerke, die mit Wechselstrom arbeiten, nicht in der Lage sein, sich diese Vorteile zu nutze zu machen; der direkte Motorenbetrieb durch Wechselstrom wird unzweifelhaft einmal bis zur völligen Zufriedenstellung ausgebildet werden; aber die Anhäufung elektrischer Energie ist ein Problem, das den Anhängern jener Stromverteilungsmethode noch viel zu schaffen machen wird, wenn seine Lösung überhaupt je gänzlich gelingt.
Gerade die Lösung dieser Aufgabe aber ist es, worauf die Wechselstromtechniker hinarbeiten müssen; denn mögen die sonstigen Vorteile ihres Systems sein, welche sie wollen, — ohne die Möglichkeit der Aufspeicherung, ohne in den Stunden schwachen Konsums „auf Vorrat" arbeiten zu können, wird nie ein Elektricitütswerk zu gesunder Blüte gelangen. Und andererseits ist es die Aufgabe der Anhänger des Gleichstromsystems, das Problem der Gleichstromtransformatoren zu lösen; die Centralstationen, welche nach dieser Methode arbeiten, müssen in den Stand gesetzt werden, ihr Produkt nicht nur der nächsten Umgebung mitzuteilen, sie müssen vielmehr ohne allzugroßen Kostenaufwand an Leitungen einen großen Bezirk mit Strom versorgen können; sie müssen an der Erzeugungsstelle mit hoher Spannung arbeiten und diese an der Konsumstelle in niedrige Spannung nmsetzen. Die Gefahren, die ängstliche Köpfe von den hochgespannten Strömen befürchten zu müssen glauben, werden sich schwerlich je geltend machen; mögen in den unterirdischen Hauptleitern, seien es nun Kabel- oder Kanalleitungen, immerhin 2000 bis 2500 Volt herrschen, wenn nur die Hausleitungen nicht mehr als 100 bis 300 Volt führen und die Transformatoren gut funktionieren, so wird durch den elektrischen Strom niemand ein Leid geschehen. Gleichstromanlagen aber, die mit Transformatoren arbeiten, können in fast beliebiger Entfernung außerhalb der Städte angelegt werden, sie können Bogen- und Glühlampen speisen, können Accumulatoren laden, Straßenbahnen jedes Systems treiben, kurz, sie sind allen Forderungen der Gegenwart und der nächsten Zukunft gewachsen. Und ganz dasselbe läßt sich von den Wechselstromcentralen sagen, sobald für dieselben das Problem der Stromaufspeicherung gelöst, sobald der Wechsel- stromaccumulator erfunden ist. Auch sie werden alle Anforderungen erfüllen, die man an ein Elektricitütswerk zu stellen nur irgend berechtigt ist; sie werden einen regelmäßigen Betrieb
ermöglichen, der mit den geringsten Mitteln die größten Erfolge erzielt; sie werden dem Licht- und Kraftbedürfnis in gleichem Maße Entgegenkommen, die Gefahren werden sich auch hier durch sorgfältige Arbeit und gewissenhafte Überwachung vermeiden lassen, und auch die klingenden Erfolge werden solchen, in großem Maßstabe angelegten Elektricitätswerken nicht fehlen.— So haben beide Systeme ihre großen Vorteile, beide auch noch einen schweren Mangel, und welches von beiden zuerst von diesem Mangel befreit werden wird, dem gehört voraussichtlich die nächste Zukunft.
„Aber damit ist die Frage, ob Gleich- oder Wechselstrom bei der Anlage eines neuen Elektricitütswerkes zu wählen sei, immer noch nicht entschieden!" ruft der Leser, der hier und da durch die Zeitungen oder durch die Vorgänge in seinem eigenen Wohnort einen Einblick darein gethan hat, wie sich jedesmal, wenn eine elektrische Centrale projektiert wird, ein langwieriger Kampf zwischen den Anhängern der beiden Systeme erhebt.
Nein, diese Frage ist durch die vorangegangenen Ausführungen nicht entschieden, sie läßt sich eben bis jetzt durchaus nicht endgültig und für alle Fülle lösen, sondern man wird sie nach gründlicher Untersuchung in jedem einzelnen Falle auf eine Frage lokaler Natur zurückführen müssen, wie dies die jüngste Vergangenheit in Frankfurt a. M. gelehrt hat. Hier wurde eine Kommission von zweifellos kompetenten Gelehrten und Fachleuten, deren Unparteilichkeit man sicher sein durfte, mit der Lösung dieses Problems betraut; Zeit, Mittel und Gelegenheit zu den eingehendsten Untersuchungen waren gegeben; eine Menge von für die Fachwelt hochinteressantem Material lieferten diese Untersuchungen, viel neues Licht über alle Einzelfragen der Beleuchtungs- und Motorentechnik wurde geschaffen; — aber auf die letzte Frage der Frankfurter: „Welches System sollen wir nun für unser Elektricitütswerk wühlen?" blieb die Antwort aus. Man konnte sich nur dahin einigen, daß hier die lokalen Umstünde entscheiden und daß eine engere Kommission von Frankfurtern diese Umstünde allein allseitig beurteilen könne.
Einige Beispiele sprechen am deutlichsten: Nehmen wir den Fall, es handle sich um die Anlage eines Elektricitäts- werkes in einer Stadt von müßiger Größe, aber regem geschäftlichen Verkehr, der sich auf alle Stadtteile gleichmäßig verteilt und allenthalben, in Lüden, Bureaux, Fabriken und gesellschaftlichen Zwecken dienenden Etablissements, das lebhafte Bedürfnis einer Hellen, eleganten, bequem zu bedienenden und gefahrlosen Beleuchtung schafft; wo ferner der Bau und Betrieb auf Kosten und in Rechnung der städtischen Verwaltung geplant ist, und untersuchen wir, welche Art der Stromverteilung hier die günstigere sein wird. Offenbar kommt es bei einer städtischen Institution weniger darauf an, Gewinn aus der Beleuchtungsanlage zu ziehen, als vielmehr darauf, den Bürgern einen reellen, gefahrlosen und von Störungen möglichst freien Betrieb zu sichern, und diese Bedingung erfüllt augenblicklich der Gleichstrom am besten, was bei den weit umfassenderen Erfahrungen, die damit gemacht sind, leicht begreiflich ist. Die etwas höheren Anlagekosten der Gleichstromcentrale, die hauptsächlich in den dabei notwendigen starken Leitungen und der Grundstückserwerbung in der Mitte des Beleuchtungsrayons ihren Grund haben, fallen hier nicht sehr ins Gewicht; denn wohl jede Stadtverwaltung besitzt ein oder einige verwendbare Grundstücke im Innern der Stadt, und wenn das Kabelnetz, das ja in einer Mittelstadt ohnehin nicht allzugroß ist, das Anlagekapital etwas erhöht, so kann man dagegen geltend machen, daß ein stüdtischerseits betriebenes Unternehmen von vornherein solider dasteht und der schnellen Rentierung weniger bedarf, daher sich immerhin etwas geringer verzinsen mag, als ein Privatunternehmen. Rechnet man auf den zukünftigen Betrieb einer vorhandenen oder erst projektierten Straßenbahn, so steht dem nichts im Wege, weder der direkten Stromzuführung noch der Speisung vermittelst Accumulatoren, und man hat noch die Anwartschaft, späterhin einen Teil der Beleuchtung ebenfalls durch Accumulatoren zu versehen und