Nipperdey hat darauf hingewiesen, wenn er Vereinstätigkeit und sozialen Rang im öffentlichen Leben in kausalen Zusammenhang brachte 10. Ohne den „Tunn el' wäre Fontane nicht an der Seite des Vortragenden Rates am Kultusministerium, Franz Kugler, Herausgeber eines belletristischen Jahrbuches geworden. Ähnlich bedenkenswert ist die Zusammenschau von Tunnel-Karriere und Berufs-Laufbahn bei den beiden späteren Ministern Heinrich von Friedberg und Heinrich von Mühle. r1 1
Im folgenden werden einige Auseinandersetzungen im Vereinsleben des „Tunnels" beschrieben, die sein Öffentlichkeitsverhalten erklären helfen. Stand der Verein gänzlich im Kontrast zur eher öffentlichkeitsorientierten Gesamttendenz des Vereinswesens im 19. Jahrhundert? War man sich durchgängig über die Abstinenz in öffentlichen Belangen einig? Wann drohte der Selbstisolierung die elementarste Gefahr, wann war sie Schutz? Gab es Anstrengungen, die Vereinssphäre als Forum des Öffentlichen, wie es sich mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft herausbildete, umzuorganisieren?
Oskar Negt und Alexander Kluge haben die „Schwammigkeit' des Begriffs „Öffentlichkeit" aus seiner Geschichte erklärt. Im Anschluß an ihre Untersuchung „Öffentlichkeit und Erfahrung" liegt auch nachstehender Darstellung eine Begriffsbestim mung zugrunde, die Öffentlichkeit nicht als etwas Einheitliches sieht, sondern als „die Kumulation nur abstrakt aufeinander bezogener Einzelöffentlichkeiten' 12 , zu denen die der Vereine rechnet. In ihr kommt es „zu einer Art kollektiven Privatheit" durch die „zusammentretenden Personen", die mit ihrer Diskussion (= dem Ausleben interpersoneller Beziehungen) „zu einem Faktor der öffentlichen Meinung und damit mindestens zu einer Quasi-Öffentlichkeit" werden. 13 Von daher ordnen sich die einzeln behandelten Gesichtspunkte einem Kontext zu, der über Vermittler- und Integrationsfunktion verfügt. Der Blick auf das Öffentlichkeitsverhalten verbindet sich mit chronologischen Schritten in der Vereinsgeschichte. Daraus ergeben sich wechselseitige Bezugnahmen.
2. Gründung
Kann die Fontane-Zeit als die literarisch einträglichste Periode des Vereins angesehen werden, so war die Gründungszeit vereinsgeschichtlich die wechselvollste. An
fang Dezember 1827 wurde in Berlin der literarische Verein „Tunnel über der Spree'
gegründet. Was immer dem Stifter Moritz Gottlieb Saphir nachgesagt werden kann, zweierlei war er nicht: langweilig und geschäftsuntüchtig. Er kam, 30jährig, nach
Berlin und verfolgte zielstrebig die Absicht, in Preußen literarisch erfolgreich zu
werden. Die Hauptstadt schien ihm der geeignete Ort, um seine reichlichen schriftstellerischen Talente zweckvoll einzubringen. Dafür eignete sich der Zeitungs- und
Zeitschriftenmarkt, um den sich Saphir bemühte. Daß sich Erfolg einstellte, bezeugen
seine Aussagen, nach denen er innerhalb von zwei Jahren in Berlin 14000 Taler
verdiente 14 . In den meisten Darstellungen der Gründungsphase des „Tunnels" über
lagert eine moralisierende Distanz die Sachverhalte. Saphir gründete den Verein, um
der „Mittwochs-Gesellschaft", die ihm den Zutritt in ihre Gemeinschaft versagt hatte,
und ähnlichen Gesellschaften eine ebenbürtige Vereinigung entgegenzustellen. Die
literarische Waffe, die er dabei bevorzugt benutzte, war die Satire in Form eines unbändigen und ungezügelten Wortwitzes. Karl von Holtei charakterisiert Saphirs Einstieg mit den Worten: „Es vereinigte sich so vieles, ihm Förderung zu verschaffen. Das Bedürfnis der guten Berliner, ihr Durst nach Spott und Satire; die Schalheit| der meisten Rezensionen in anderen Blättern; Saphirs Talent welches die Lacher,
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