Saphirs Verein verstand sich zu diesem Zeitpunkt noch als »Gesellschaft" - freilich im ironischen Sinne. In ihm saßen Männer nebeneinander, denen an schriftstellerischer Anerkennung gelegen war, aber auch solche, die sich abseits halten wollten und andere Berufsentscheidungen getroffen hatten. Schreiben mit professioneller Absicht vermischte sich mit dilettierenden, aber Geselligkeit stiftenden Versuchen. Während der Stifter den Blick auf den literarischen Markt (die Theater-Welt hier eingeschlossen) gerichtet hatte, den zu beliefern er neue Strategien erprobte, befriedigten andere im Verein ihren Bedarf an sozialen Kontakten - übrigens in der Regel im Rahmen des eigenen sozialen Standes. Diese Mischung beförderte eine Lockerheit, die auch die Gründung weiterer „Tochter"-und-„Sohn"-Gesellschaften nach demselben Modell begünstigte. Neben Berlin trat Leipzig, bald kam Breslau hinzu. Leipzig war wichtig als Ort der Verlage, wovon auch Saphir profitierte. Dessen überregionale Orientierung, immer auf Zentren konzentriert, verdeutlicht die Auflistung seiner Wirkungsorte: Pest, Wien, Berlin, Leipzig und München 26 . Seine Intentionen, in die er den „Tunnel" strategisch einbaute, zielten augenscheinlich auf ein Wirkungsnetz gröberen Stils. Er wollte die literarische Unverwechselbarkeit der verschiedenen Regionen ausnutzen und fand Vereine wie den „Tunnel" geeignet, daraus literarisches Kapital zu schlagen. Für den „Tunnel" hieb das anfangs: keine verschlossene Tür, wer wollte, bekam problemlos Zutritt. Kaum verhohlene Lust an Publizität schloß denkbare Exklusivität zu Beginn aus. Der Goethe-Huldigung in der „Mittwochs-Gesellschaft" standen Schiller-Parodien im „Tunnel" gegenüber 27 .
Saphir reaktivierte überlieferte Geselligkeitsformen, zitierte Züge der Freimaurerei und gewann durch deren Parodierung neue Bewegungsräume für die Gruppenaktivität. Das Bedürfnis nach (durchaus produktiver) Zerstreuung löste das nach Aufklärung ab - der „Tunnel" mit Saphir an der Spitze hatte diesen Funktionswechsel derartiger Betätigung kulturell-literarischer Natur intuitiv begriffen und mit seiner frühen Vereins- und Produktionsform darauf angemessen reagiert.
3. „Kritischer Richterstuhl für Deutschland“
Doch gerade über die geschilderte Ausrichtung des Vereins und seine innere Beschaffenheit mit ihrer Wirkung nach außen kam es bald zu heftigen Kontroversen. Sie veranlaßen den regen Sekretär Louis Schneider <Campe> zur Notiz im Protokoll : „Was haben wir jetzt...? Nichts was uns erheitert von den Sorgen und Mühen der Woche, sondern ein fortwährendes Verbessern, Klauben und Flicken an elenden bedeutungslosen Worten, die nichts dazu beitragen uns von der Welt Achtung zu erzwingen, wenn wir, wie man gegen meine Ansicht behauptet, dieselbe nicht besitzen, ,.." 28 Eine „ungeheure Verwirrung" 29 hatte der Span mit dem programmatischen Titel „Rede über den Zweck eines literarischen Vereins" ausgelöst. In ihm attackierte ein Herr Ehrenbaum <Justus Lipsius> die Vereinspraxis, besser: den Alltag im Verein 30 . Zwei Dinge hatten sein Mißfallen erregt: 1. die unernsten und albernen Gepflogenheiten im Umgang miteinander. Dazu rechneten beispielsweise die vielen karnevalesken Züge im frühen Vereinsleben. Sie reichten vom Rauchen einer Knallzigarre bei Aufnahme bis zu den Begrüßungsriten, die in dem Dialog gipfelten: „Was wollen Sie hier? - „Nichts" - „Das können Sie kriegen." und 2. die Banalität der literarischen Produktion und Rezeption. Bei der Rezeption dachte Ehrenbaum an die praktizierte Kritik. Entschieden plädierte er für einen höheren Zweck, der durch schärfere, intellektuell-angestrengtere Beurteilung anzustreben sei. „Bestünde unser Verein schon Jahre", lautet das verallgemeinerte Urteil, „und hätte auf die Literatur gewirkt, so würde ich behaupten, sein Streben sey schädlich und müßte mit der Wurzel ausgerottet werden.“ 31
22