indirekt zielte das auf die Rolle des Vereins in der Öffentlichkeit. »Langeweile" und .vorübergehende Laune" kritisierte der eingereichte Span als gänzlich unzureichende Produktivitätsanlässe. Individualität - das sei es, was fehle. Sie mit tüchtigen Män- nern durch das Vereinsleben zu fördern, könne eventuell Rettung bringen. „Durch die Revolution ist ein Napoleon entstanden, durch sein Verderben bringendes Schwerdt ist die Kultur um Jahrhunderte weitergeschritten - ein Leibnitz mußte seyn, um einen Kant hervorzubringen; und so kann dieser Verein einst der Kirch- stuhl (so in der Schreiber-Abschrift im entsprechenden „Späne"-Band, in der Diskussion war jedoch stets die Rede von „Richterstuhl" - R. B.) der deutschen Literatur seyn." 32
Ehrenbaum definierte den Verein als eine Art epochale Durchgangsstation, die er mit den entscheidenden, für die deutsche Kultur- und Geistesgeschichte prägendsten Bewegungen vergleichend verknüpfte. Das ging weit über Berlin hinaus, ja weit über Preußen. Der Verein sollte sich als eine Institution festigen, der die Beurteilung der deutschen Literatur zukomme. Kein Zufall, daß Ehrenbaum in seiner Argumentation Goethe in seiner einzigartigen Individualität Schiller und Jean Paul gegenüberstellte, deren Dichtungen nachahmbar seien. Der eingeklagte Anspruch stieß im .Tunnel" auf heftigen Widerspruch. Pro und Kontra hatten Fraktionsbildung zur Folge. Ehrenbaum, so meinte man, beurteile „den Verein von einem ganz falschen Standpunkte aus" 33 . Die überdimensionale Aufwertung der Gruppe verunsicherte. Der spielerische Geist, aus dem heraus Saphir den Verein leichthin lenkte, schlug um ins Ernsthafte. Ehrenbaum bemühte sich, eine Gruppierung zu formieren, die natio- ale Probleme mit Vereinsbelangen verband. „Poesie" statt flacher Reimerei, strenge Kritik statt geschmäcklerischem Geschwätz. Daß der Verein auf diese Kritik überempfindlich und mit Verstimmung reagierte, charakterisiert seinen damaligen Entwicklungsstand: Wilhelm Förster <Lucian> sprach aus, was die Mehrheit empfand. Man solle sich davor hüten, ein Phantom anzubeten, „das mit dem Kopfe in den Wolken strebt, u. mit den Füßen über jeden Stein auf der Erde stolpert." 34 Empfohlen wurde Besonnenheit und Bescheidenheit, Augenmaß für die eigenen Möglichkeiten. Durch die Rückbesinnung auf herkömmliche Vereinszwecke verdrängte man, was in Saphirs Betriebsamkeit tendenziell angelegt war. Das Anspruchsvolle, was Ehrenbaum in die entsprechenden Wendungen kleidete, schreckte ab - ihm begegnete die Vereinsmehrheit mit einer Ironisierung der eigenen Möglichkeiten. Die durch jenen Span bewirkte Selbstüberprüfung hatte Folgen: „Man kam /.../ indeß überein den Namen: ,der Sonntags-Gesellschaft' in den: ,der Sonntags-Verein' ab- zuändern, die ohne Grund lächerlichen Formen abzuschaffen, dagegen aber die ironischen Beziehungen beizubehalten und eine Revision der Statuten zu veranlassen." 35
Damit schwächte man die vordergründige Namensparallelität mit der „Mittwochs- Gesellschaft“ ab und leitete eine Angleichung an die Form eines Geselligkeitsvereins ein. Zu diesem Zeitpunkt zählte der „Tunnel" 22 Mitglieder in Berlin, 12 in Leipzig. Obwohl ein Ausgleich gefunden schien, setzte ein radikaler Mitgliederschwund ein, der sich nicht zuletzt aus dem Zwiespalt erklären läßt, den der Ehrenbaumsche Span erzeugt hatte. Mit dieser Auseinandersetzung war der Auftakt gegeben für eine in mehreren Phasen ablaufende Formalisierung der Vereinsverhältnisse. Die Idee bür- gerlicher Öffentlichkeit, die sich in Ehrenbaums Überlegungen aussprach, wurde ge- tauscht gegen die Vereinsöffentlichkeit, für deren Gefährdung es längst hinreichende Zeichen gab. Der Ruf nach den „Statuten", der laut wurde, war der Ruf nach der strengeren Konturierung der Vereinsmitgliedschaft. Mehr als durch zu hohe An- sprüche sah man sich durch die eigene Stellung im literarischen Leben Berlins ge- fährdet, die den Verein in Pressefehden hineingezogen hatte.