Heft 
(1990) 50
Seite
24
Einzelbild herunterladen

4. Umbruch und Neuorientierung 1829/30

Die Bedrängnis, in die sich der Verein gebracht sah, überstieg seine Belastbarkeit. Saphir stand seit März 1828 im Kreuzfeuer seiner empörten Berliner Schriftsteller­und Journalistenkollegen, denen er Cliquentum im Kampf gegen die von ihm unter­stützte Königliche Bühne vorgeworfen hatte. Öffentliche Erklärungen und Gegen­erklärungen wechselten einander rasch ab. Problematisch war weniger der Umstand, daß sich unter Saphirs Gegnern Männer wie Ludwig Reilstab, Wilhelm Häring (= Willibald Alexis) oder Friedrich Wilhelm Gubitz befanden. Vielmehr beunruhigte deren geschlossenes Auftreten. Die Front nahm nicht Saphir allein, sondern auch dessen Verein unter Beschuß; nun rächte sich die gemeinsame ZeitungsrubrikAus der Sonntags-Gesellschaft", die den Vorwurf Saphirs gegen ihn selbst umkehrte.

Vonwildbewegte(n) Discussionen" 36 ist in den Protokollen zu lesen. Doch verkannte Louis Schneider als Protokollant die Ursachen, wenn erkleinliche Privat-Rücksich- ten" angab. Die souveräne Haltung, die das Protokoll nur zu gern vortäuschte, stellte sich erst wieder ein, als Saphir, unter polizeilichem Druck (vomTunnel" jedoch nicht ohne freundliche Dankbarkeit verabschiedet), Berlin verlassen hatte. Die gewonnene Souveränität wuchs sich 1830 anläßlich der Haupt-Rede Ludwig Les- sers <Petrarca)>, (Vorsitzender, damals noch für ein halbes Jahr, später für ein ganzes Jahr gewählt), zu einer prinzipiellen Abrechnung aus. Vereinsinteressen wur­den nun gegen die Interessen einzelner geltend gemacht. Gesondert ging man gegen Redakteure von Zeitungen vor.Ist nur ein Redakteur in dem Verein", erklärte Les- ser,so hält die Welt sein Blatt für die Stimme der Gesellschaft, diese selbst aber für eine Klique des Redakteurs u. ihr Thun wird dem Publikum verdächtig, wie das Treiben jeder Klique." 37 Eine solche Verbindung zwischen Redakteur(en) und Verein schade immer der Gemeinschaft. Tatsächlich war derTunnel"den öffentlichen An­griffen seiner Feinde so gut ausgesetzt" wie Saphir selber. Ihm wurde dieAchtung der Welt" 38 entzogen. Ludwig Lessers Biographie und soziale Einbindung, die Ger­hard Wolf einsichtig verallgemeinert hat- 10 , machen Reaktion und Position dieser Fraktion imTunnel", die nun dominierte, verständlich. Zwar lieferte Lesser litera­rische Beiträge an unzählige Zeitschriften und Taschenbücher und hatte vertrauten Umgang mit Redakteuren und Verlegern, doch gründete sich seine Unabhängigkeit in einer gesicherten bürgerlichen Existenz. Relativ unabhängig durch Heirat in eine wohlhabende Kaufmannsfamilie, war er bis zum Ende seiner Tage als Disponent des Bankhauses Oppenheim tätig. Schreiben galt ihm als angenehmes Freizeitvergnügen. Bei dieser Lage der Dinge mußte ihm an der Wiederherstellung des Vereins-Rufes und der Distanzierung von jedwedem unlauteren Tun gelegen sein.

Es lag nicht in seinem Interesse, denTunnel" in ein Schlachtfeld sich befehdender Zeitungsleute u. a. Saphir kontra Eduard Oettinger, der denEulenspiegel" (im­merhin Symbolfigur des Vereins!) herausgab - verwandelt zu sehen. Seinem Bedürf­nis entsprach ein anderer Vereinstyp, als der von Saphir initiierte.

Mit der Verabschiedung der Hauptkontrahenten trennte man sich deshalb ebenfalls von der bis dahin gepflegten Form der Öffentlichkeit. Lesser interpretierte den Redakteursstreit vor den Augen des Publikums als Privathändel und kehrte so die Tatsachen um; die wirkliche literarische Öffentlichkeit wurde von ihm als Privat­sphäre der in ihr Agierenden betrachtet. Das erlaubte deren Ausschluß aus der Ver­einsöffentlichkeit. Man gab sich mit dem Hinweis auf seinen guten Ruf loyalöffent­lich", um sich mit demselben Argument zu verschließen.Öffentlichkeit" wurde nur in dem Maße akzeptiert, wie sie kalkulierbar blieb und bequem auf Taschenformat zu bringen war. Ein Schachzug, der sich rächen sollte. In kurze programmatische Formeln gedrängt, konzentrierte Lesser sein Krisenkonzept auf folgendes:

24