sind zulässig, sofern sie rein vom wissenschaftlichen Standpunkt aus behandelt werden." 90 Von der Dimension dieses Antrages läßt sich auf die Situation im „Tunnel", aber ebenfalls auf dessen individuelle Beschaffenheit am Vorabend der Revolution schließen. Der Drang nach Beteiligung, verschieden motiviert, nahm zu. Die Hemmschwelle nach Saphirs Ausscheiden verlor ihre Unüberwindlichkeit, aber gleichfalls an Akzeptanz. Merckel bewies seismographische Empfindlichkeit, wenn er mit diesem Vorschlag, dem Unzufriedenheit mit dem vorwaltenden Vereinscharakter zugrunde lag, auf Tabuabbau drang. Die Zeit hatte längst einen anderen Schritt angenommen. Die selbstverordnete öffentliche Zurückhaltung lief Gefahr, zur Selbstvernichtung zu führen. Merckel witterte in der Abkapselung den finanziellen und strukturellen Ruin des Vereins.
Aber die Märzereignisse wischten die Umständlichkeit des Vorschlags und eine unmittelbare Realisierung vom Tisch. Der Verein geriet in eine totale Existenzkrise, die die erste bei weitem übertraf. Für Wochen bestand die Vereinsöffentlichkeit aus einem Mann: dem Protokollanten Wilhelm von Merckel.
8. Nachmärz im „Tunnel"
Das Gruppenleben war mit einem Schlage lahmgelegt. Kein Anzeichen ist überliefert, das auf eine andere Reaktion schließen ließe als die einer allmächtigen Lethargie. Diie Mitglieder verfolgten ihre eigenen Wege, die mit dem „Tunnel" nichts zu tun hatten. Auf die eingetretenen Verhältnisse war der Verein nicht eingerichtet 91 . Vereinspraxis wie Statuten verfügten über keinerlei Handlungsvorgaben oder -modelle milt der nun beinötigten Flexibilität. Die Anziehungskraft für seine Mitglieder sank auf Null. Überdies verlangten die politischen Umwälzungen vielfältigen Einsatz: Tunneliainer reihten sich in die Bürgerwehr, standen im aktiven Militärdienst oder schlossen sich einzelnen revoltierenden Aktionen an.
Die ersten Treffen, nach Wochen fanden den „Tunnel" nicht als Dichtergesellschaft, als die ihn einige weiter verstehen wollten, sondern als bunten, einigermaßen konzep- tionslosem Debattierklub. Zwar protokollierte Merckel mit merkwürdiger Treue die Zusammenkünfte, aber auch er konnte den Eindruck völliger Ohnmacht und Sinnlosigkeit des Vereins nicht beseitigen.
Erst nach den Sommermonaten schlug die allgemeine Krisenstimmung in langsam erwachendes Vereinsbewußtsein um. In dem Maße wie die Verhältnisse ihren revolutionären Charakter verloren und sich auf eher vertraute Weise stabilisierten (am Ende mit Hilfe des Militärs), faßte der „Tunnel" wieder Tritt. Das öffentliche Leben wirkte dabei direkt in den Verein hinein. Erstmals in der Vereinsgeschichte wurde die Beschaffenheit des Vereins mit der der Gesellschaft in einen Wirkungszusammenhang gebracht. Daß bei diesen ersten Beratungen, angesichts der Publikationsflut, die man in den letzten Monaten erlebt hatte, erneut die Idee eines belletristischen Journals auftauchte, erstaunt nicht. Das Gründungsmitglied Wilhelm Bernhardi <Leisewitz> äußerte sie diesmal ohne pekunäre Hintergedanken. Er ging vielmehr von der Annahme aus, „daß der Verein von seinem Boden aus auch ins Publikum" wirken könne, „um Kunst und Wissenschaft gegen die politische Richtung der Jetztzeit zu beschützen." 92 Vereinspraxis und ein konservativ-apolitisch definiertes Kunst- und Wissenschaftsverständnis gedachte Bernhardi als Mittel einzusetzen, um öffentliche Einflußnahme zu üben. Um diesen und anderen Vorstellungen Raum zu geben, setzte der „Tunnel" eine Beratungssitzung an, die als Hauptthema die Reorganisation des Vereins hatte.
Daß eine „neue Zeit" angebrochen war, darüber bestand kein Zweifel. Als man am 5. November zusammenkam, bildeten sich erneut die bekannten Positionen heraus.