„Literaturblatt", nun ein gezielt öffentliches, bei. Bis 1858 publizierten dort Tun- nelianer und deren Freunde Besprechungen und Aufsätze zur neueren Literatur. Auf diese Weise hatte sich die Tunnel-Elite das Podium verschafft, auf die öffentlichen Kunst- und Literaturangelegenheiten einzuwirken.
Zu dieser Öffnung gehörte auch das Engagement, das nun unumwunden vom ästhetischen Interesse auf das Bedingungsfeld, dem die Kunst- und Literaturproduzenten ausgesetzt waren, überging. Kugler hatte schon früher auf diese Fragen sein Augenmerk gelenkt. Jetzt, 1855, trat die Runde für die Schriftsteller-Belange ein, indem sie die ersten Gehversuche der „Deutschen Schillerstiftung" ermunternd begleitete. Im „Literaturblatt" von Eggers wurde der Aufruf für die Beteiligung an der Stiftung im Wortlaut veröffentlicht. U. a. hieß es da: „ /.../ durch die traurigsten Erfahrungen auf dem Gebiete der Literatur immer mehr als Nationalpflicht sich aufdrängende Zweck derselben ist, solchen Schriftstellern, welche, dichterischer Formen sich bedienend, dem Genius unseres Volkes in edler, die Mehrung der Bildung anstrebender Treue sich gewidmet haben, für den Fall ihrer verhängter eigener schwerer Lebenssorgen /.../ einen thatkräftigen Beistand zu leisten." 109 Am Institutionalisierungs- prozeß dieses nationalen Unternehmens, das Einzelfäden vielfältigster Art aufnehmen und zusammenknüpfen wollte, beteiligten sich nicht wenige Mitglieder des Sonntagsvereins „Tunnel über der Spree". Ideensplitter von Saphir, der sich übrigens für ein ähnliches Unternehmen in Österreich engagierte, Ehrenbaum, Merckel und Hahn spiegeln sich in diesen Aktivitäten. Der „Tunnel" konnte seine Mitglieder durch den Ideenaustausch, den er sicherte, zu vergleichbaren Überlegungen anregen, ohne diese als Verein selbst zu realisieren.
10. Schlußbetrachtung
Mein Ausgangspunkt war das Öffentlichkeitsverhalten des „Tunnel". Die nach ihrem exemplarischen Charakter ausgesuchten Initiativen (vereinsinterne, -externe, im Zwischenbereich angesiedelte) bestätigen nicht uneingeschränkt bisherige Darstellungen. Der Verein verhielt sich aus soziologischer Sicht wie eine normale soziale Gruppe, die im „Wandel der Individuen" beharrt und ein „gewisses Wesen und ein gewisses Verhalten, eine gewisse Art der Anschauung, der Denkweise und der Handlungsweise" bei behält 110 .
Seine Zwitterstellung zwischen geselligem Verein und Dichtergesellschaft „stufte (—)" zwar „die Poesie aus einer vorrangig gesellschaftlichen zu einer vorrangig geselligen Angelegenheit" 111 zurück, gewährte aber einen Grenzbereich, der von den aktiven Mitgliedern (die im übrigen durchaus voneinander divergierende Interessen haben konnten) ausgefüllt wurde. Hier befriedigten sie vornehmlich künstlerische Interessen, die mit dem außervereinlichen literarischen Leben korrespondierten. Aus diesem Bereich erwuchsen die „Ableger", von denen hier nur der wichtigste — das „Rütli", den Fontane „eine intime Abzweigung des Tunnel" 112 nennt — beschrieben wurde 119 . Diese bedurften der Existenz und Lebenskraft des sich unveränderlich gebenden „Tunnel", wenngleich sie wie ihre späteren Chronisten diese Rolle des Muttervereins herunterspielten.
Im „Tunnel" entwickelten sich verschiedene Formen öffentlichen Verhaltens, die von dessen Training bis zur tatsächlichen Praxis reichten. Daher erklärt sich m. E. seine Bedeutung weniger aus seinem Stellenwert im öffentlichen Bewußtsein jener Zeit oder der Literatur- und Kulturgeschichten — vielmehr beruht sie in der Spezifik seiner Anlage, die literarische, politische, soziale, philosophische und berufliche Vorstellungen und Tätigkeiten zusammenführte und ihnen neuartige Entfaltungschancen inner- und außerhalb des Vereins gewährte. Diese realisierten sich — je nach Persön-
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