Berlin den 14 ten May 1848. Als Sekretarius eintrat, nehmlich in die wenigen Quadratfuß Gartenland, über denen sich das Kaffee »Belvedere" erhebt, saß Campe mit Büsch, Tasso und Anacreon im herzlichen Gespräch über Politik, was zur Folge hatte, daß [...] bis gegen 12 Uhr Politik getrieben wurde, freilich eine Politik, vor der kein Ministerium Camphausen stürzen dürfte.
Das werden diejenigen besorgen, die es nicht erwarten können, auch gestürzt zu werden.
Gesammelt wurde nichts.
Imroermann. 57
Dies ist ein unmittelbarer Reflex auf das, was sich außerhalb des Cafes »Belvedere" abspielt: »In einem reicheren Blätterschmucke hatten sich die Straßenecken Berlins zuvor noch nie gezeigt, als an diesem Sonntage, dem 14.", an dem eine »Massen- Demonstration" vorbereitet wird: 58 Es geht um den Prinzen von Preußen (den späteren deutschen Kaiser Wilhelm I.) und dessen Verhalten am 18. März, über das seitdem „Gerüchte" umlaufen:
Es wird erzählt, der Prinz habe Bürgern, die sich für Zurückziehung der Truppen an die Umgebung des Königs vergebens gewandt hatten, zugerufen: »er wolle eher sein Fürstenblüt verspritzen, als daß das Militär auch nur einen Zoll breit zurückgezogen würde." Es wird ferner behauptet, der Prinz habe im Schloßhof, bei Einlieferung der Gefangenen, die Soldaten zur Mißhandlung derselben aufgefordert. 69
Am 20. März will deswegen eine aufgebrachte Menge das Palais des Prinzen anzünden, läßt sich aber durch vier Aufschriften am Palais — »Volkseigenthum", »Bürger- gut!" u. ä. — besänftigen.6 0 Am Abend desselben Tages geht der „Angstruf durch die Stadt": „,Verrath! Der Prinz von Preußen überfällt mit den Truppen Berlin!'" 61 Der Prinz flieht jedoch, und zwar „am 22. März — dem fünfzigsten Jahrestag seiner Geburt" — über Cuxhaven nach England. 62 Angeblich gibt es danach »unter allen Predigern Berlins nur vier", „welche den Namen des Prinzen in das übliche Sonntagsgebet" einschließen. 6 3 Ende April mehren sich jedoch die Stimmen, die die öffentliche Meinung günstig für den Prinzen beeinflussen wollen ; 64 schließlich beantragt das Ministerium Camphausen die Rückkehr des Prinzen 65 und löst damit eine Protestwelle aus; 66 diese erlebt an jenem Sonntag ihren Höhepunkt, und zwar meist in Form von Plakaten. Eines davon trägt 108 Unterschriften von Bürgerwehrleuten und ist unterzeichnet mit u. a. „A. W. Hayn. Stellvertreter des Hauptmanns". 67 Selbst der „Tun- nel'-Drucker 68 ist also dem „altpreussischen Geiste" untreu geworden. Demgegenüber exponiert sich Louis Schneider <Campe>, Gründungsmitglied des »Tunnels" und dessen erster und langjähriger Sekretär, öffentlich auf der entgegengesetzten Seite, wie Varnhagen unter dem 25. Mai 1848 notiert:
Der Schauspieler Louis Schneider <Campe> spielt eine Rolle bei den Bezeigungen für den Prinzen von Preußen. Ihm werden Hochs und Katzenmusiken gebracht, wie den Ministern. 69
Merckels Protokollformulierung zeigt, daß das Ministerium Camphausen, das nach Varnhagens Meinung »wahrlich die Ruthe" verdient ,7 0 dessen Politik aber z. B. Schnei der öffentlich unterstützt, von den anwesenden »Tunnel"-Mitgliedern nichts zu befürchten hat. Das aber ist — objektiv — eine Unterstützung der „Reaktion". 71 Denn der Sachverhalt ist offenbar eindeutig, wie der — in diesem Punkte unverdächtige — Zeitzeuge Varnhagen unter dem 17. Mai 1848 notiert:
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