Von dort aus schreibt er am 12. Oktober an Lepel einen langen (heute ca. 6 Druckseiten umfassenden) Brief, der explizit als politisch-historische Abhandlung angelegt ist, die „die Berechtigung meines Standpunktes." darlegen soll: 163 Scharf arbeitet er dem „Charakterzug der Hohenzollern" heraus: „.erst sie und dann das Volk'". 154
Und ich sage Dir lieber Lepel, wenn wir noch heut am Tage 37 Fürsten nach Van-Diemensland schicken — es geht uns nicht um ein Haar schlechter, wir sparen viel Geld und sind in 8 Tagen auch reif für die schönste Republik. 155
Was Fontane hier seinem Freunde privat schreibt, ist zwei Tage später in der „Berliner Zeitungshalle" u.d.T. „Die Teilung Preußens" öffentlich nachzulesen:
Keine Partei hat unsere Herrscher gestürzt, die haben sich selbst gerichtet. Falsches Spiel, Blödsinn und Ungeschick haben den Stab über sie gebrochen. Sie sind tot in der öffentlichen Meinung. 136
Noch einmal: Zwischen Juni und Oktober tagt der „Tunnel" u. a. deswegen nicht, weil seine Mitglieder sich auf entgegengesetzten Seiten engagieren. Dies gilt hinsichtlich aller Aspekte der „dreifachen Krise" des Revolutionsjahres: der „Krise der Legitimität", der „Krise der Integration" und der „Krise der Partizipation". 107 Hinsichtlich der „Krise der Legitimität tradierter Herrschaft" ist die Mehrheit des „Tunnels" für die Monarchie, Fontane für die Republik. Hinsichtlich der „nationalen Integrationskrise" ist die Mehrheit für Preußen, Fontane für Deutschland. Hinsichtlich der „Krise der Partizipation" ist die Mehrheit für das bisherige System, während Fontane die Rolle eines Wahlmannes übernimmt.
4. Der „Tunnel" im Verhältnis zu anderen Vereinen 1848
I Die letzten Kapitel haben gezeigt, wie sehr „Tunnel"-Mitglieder 1848 in den verschiedenen politischen Lagern tätig sind; und dies ohne jede Rücksicht darauf, ob der jeweilige „Tunnelbruder" das billigt oder nicht.
Das Jahr 1848 macht also in besonderem Maße deutlich, daß der „Tunnel" keine ideologisch homogene Gruppe ist. Wenn auch ein — namhafter — Teil der politisch aktiven „Tunnel"-Mitglieder der Konterrevolution nicht nur nahesteht, sondern sie nach Kräften befördert, so gibt es doch auch die Ausnahme Fontane, der sich offen und nachdrücklich für die Demokratie einsetzt.
Eine solche Inhomogenität mag in friedlichen Zeiten einen Verein nicht gefährden; und dies besonders dann nicht, wenn er sich deswegen zusammengefunden hat, weil e r dem Kult einer als .friedlich' geltenden oder gar .Frieden' stiftenden .Poesie' huldigt. In Revolutionszeiten, in denen das .Politische' dominiert, ist das anders. Und zwar muß sich die ideologische Divergenz zum einen ganz allgemein als störend bemerkbar machen. Sie muß jedoch zum andern dann das Zentrum des Vereins tangieren, wenn es — wie 1848 allgemein zu beobachten — just der ideologische Konsens ist, der als nun möglich gewordenes Erlebnis auf allen Ebenen genossen wird und ringsherum zu überaus zahlreichen Vereinsgründungen führt.
Derselbe Drang, der, seit dem Beginn des neuen Zustandes, in der Presse eine bereitwillige Vermittlerin für Alles fand, was der Einzelne mitzutheilen, zu äußern, vorzuschlagen sich berufen fühlte, ließ allmählig in großer Zahl Vereine, Associationen, Clubs entstehen, zu denen sich gleiche praktische Interessen, verwandte politische, sociale und wissenschaftliche Zwecke verbunden hatten. 158
Ds kommt also zu so etwas wie einer „Öffentlichkeit als Organisationsform der kollektiven gesellschaftlichen Erfahrung": 159 „Die vormärzliche Zeit" hatte sich „auf ge-
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