Heft 
(1990) 50
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Damit ist der Verein gemäß § 4 der Statuten beschlußunfähig; mithin kann man ledig lich mit einer vorläufigenBesprechung der im Zirkulare angedeuteten Angelegen­heiten" beginnen. 198

DieseBesprechung" zeigt, daß derTunnel" unter einem Modernisierungsdruck steht, der vor allem 4 Problemkreise betrifft, die eng miteinander Zusammenhängen und demTunnel" von der Berliner Vereinslandschaft des Jahres 1848 aufgezwungen werden:

5.1 Wirkung nach außen

Thomas Nipperdey hat für die Anfänge des bürgerlichen Vereinswesens in Deutsch­landvier Motiv- und Zielkomplexe" benannt,' 199 von denen derTunnel" bis 1848 nur zwei realisiert: 1. sich unterhalten, 2. sich belehren. 200 Für unseren Zusammen­hang hilfreich ist zum einen, daß Nipperdey beide .Komplexe' zusammenfaßt, indem er von Wilhelm Roeßler den Begriff .arbeitende Geselligkeit' übernimmt, 201 und zum anderen, daß er dabei insbesondere auch das Zusammenwirken von Bürgern und Adligen berücksichtigt: 202 Es ging umAustausch von Welt- und Lebenserfahrung und -kenntnis aus verschiedenen Lebenskreisen, um sich gegenseitig zu belehren". 20 3 Das Stichwort lautet:sich bilden". 204In diesem Prozeß wird Kultur zum Gegen­stand eines allgemeinen Interesses von Privatleuten." 205 Hierhin gehört ein Phänomen, das auch imTunnel" eine wichtige Rolle spielt: der .Dilettant'. Er ist nach Nipper­dey dereigentlich legitime Repräsentant der bürgerlichen Kultur und ihrer Organi­sation in Vereinen." 206

An dritter Stelle nennt Nipperdeymehr oder weniger spezielle gesamtgesellschaft­liche Zwecke, die über den Verein selbst hinausweisen", 207 also das .Gemeinwohl' be­treffen. In dieser Hinsicht ist derTunnel" ganz und gar abstinent; ebenso hinsicht­lich des vierten Punktes, einer Sache nämlich, z. B. der Kunst,dienen" zu wollen. 208 Dieser Verzicht auf jegliche Wirkung nach außen, der z. T. auch Reaktion auf die seit 1819 immer wieder verschärften Restriktionen des Staates ist, wird im Frühjahr 1848 wie oben gezeigt von Privatpersonen wie Vereinen aufgegeben. Als Privatperso­nen folgt ein Teil derTunnel"-Mitglieder wie ebenfalls gezeigt ziemlich bald diesem Drang, für die eigene Position in der neu gewonnenen Öffentlichkeit tätig zu werden; als Vereinsmitglieder aber müssen sie sich wenigstens .offiziell' noch immer zurückhalten.

Entsprechend heißt es imTunnel"-Protokoll vom 5. 11. 1848:

Leisewitz entwickelt seine Ansichten über Reorganisation des Vereins. Er be­ginnt mit einer Kritik der Statuten, wird aber vermocht, vom Allgemeinen zum Besonderen überzugehen, und beschränkt sich nun auf seine Idee über Ent faltung einer nach außen gerichteten produktiven und kritischen Thätigkeit im Gebiete der Kunst, und der Wissenschaft im weitesten Sinne durch Begründung eines Journals. 209

5.2 Offenheit auch für Nichtmitglieder Nipperdey formuliert:

In den 40er Jahren kann man allgemein eine Welle der .Demokratisierung bemerken: das Vereinswesen, von der Oberschicht inauguriert, hatte sich un­geheuer ausgebreitet und war damit populär geworden. Alle Volksteile fanden in den Vereinen ein Feld der Aktivität. Ältere Vereine betonten generell ihre Offenheit für Beitrittswillige aus allen Schichten. 210

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