Heft 
(1990) 50
Seite
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Insbesondere die 1848 neu gegründeten Vereine sind wie oben gezeigt nicht wie die alten oft und derTunnel" in jedem Falle geschlossene Gesellschaften, in die man erst durch relativ umständliche Verfahren Einlaß finden kann, sondern offen.

Entsprechend heißt es imTunnel "-Protokoll vom 5. 11. 1848:

Er [Leisewitz]hebt namentlich hervor, daß auch Nichtmitglieder als Mitarbei­ter [für das zu gründende Journal] müßten angenommen werden können und alsdann eo ipso die Mitgliedschaft erlangen sollten. Dem Vereine sey die Vor­kritik der Arbeiten vorzubehalten. Welche Wege in Ansehung des ökonomi­schen Theils des Unternehmens, zE der Form, Auflage, des Preises und Ver­lages, einzuschlagen seyn würden, überläßt der Antragsteller späterer Be- rathung.

Es folgt eine längere Debatte.

Carnot meint, der Verein würde auf diese Weise sich in eine Redaktion ver­wandeln und seine jetzige Natur verlieren, die ihm zu erhalten sey.

Petrarka vermißt in Leisewitzans Vortrag Vorschläge für Erhöhung der innein Thätigkeit des Vereins, und führt hierdurch die Debatte auf ein neues Feld. Collin weist das Bedürfniß nach, neue Kräfte heranzuziehen, so wie die Noth- wendigkeit, Kunst u. Wissenschaft gegen die politisirende Richtung der Jetzt­zeit zu beschützen; ein solcher Vorsatz würde viel Theilnehmen finden [.. .]. 211

Man sieht: Die Frage der Offenheit des Vereins weckt in manchen Mitgliedern die Sorge, sein ,Wesen' könne verlorengehen.

5.3 Gleichheit der Mitglieder

Bereits die Vereine der vierziger Jahre betonendie in ihrem Kreis herrschende Gleichheit". 212 Dieser Forderung nachGleichheit" wird derTunnel" bekanntlich da­durch gerecht, daß er von Anfang an von der WienerLudlamshöhle" das Institut der Decknamen übernimmt und damit wie immer wieder betont wird 213 die gesell­schaftliche Differenz zwischen Bürgerlichen und Aristokraten zu überspielen ver­sucht. Allerdings konterkariert derTunnel" die Forderung nachGleichheit" bis­weilen auf eine Weise, die z. B. den rückblickenden Fontane zu relativ scharfen For­mulierungen veranlaßt.

Zuzeiten gibt es nämlich neben dem .offiziellen' Teil derTunnel"-Sitzungen noch einen .inoffiziellen'; und für diejenigen, die davon .betroffen' sind, dürfte es der ver­gleichsweise wichtigere sein: die Einladung, im Anschluß an die .offiziellen'Tun- nel"-Sitzungen am Inner Circle teilzunehmen, d. h. amgesellschaftlichen Mittelpunkt der Tunnelaristokratie von Adel und Militär dominiert wird und die sich z .B. im Hause des Assessors Heinrich Friedberg trifft, des späteren preußischen Ju- stizministers. 215 Dieser Inner Circle übernimmt z. B. im Falle des für 1848/49 so wich­tigen Scherenberg die Funktion des Arbeitsamtes: Man verschafft Scherenberg eine Korrektorstellung", bezeichnenderweisean einem militärischen Journal". 216

5 -4 Zurückdrängen des Zeremoniellen

Die in den vierziger Jahren, besonders aber 1848, erhobene Forderung nach Gleich­heit der Mitglieder wird imTunnel" außerdem indirekt konterkariert: An die Stelle der Hierarchie der Klassengesellschaft setzt derTunnel" die der Vereinsbürokratie mit ihren verschiedenen Chargen. Demgegenüber wird von einem Verein in Mann­heim folgender Satz überliefert:Möge kein Ceremoniell und keine Titelsucht in diese dem Frohsinn und der Kultur geweihten Säle eingehen". 217

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