Vereins vorgelesen. Die Sache würde bei aller (anscheinenden) Phantasterei wenigstens endlich (schlimmstenfalls) auf eine Reorganisation des Tunnels hinaus laufen, der übrigens, wenn das Unternehmen im Großen gelingen sollte, demselben schon immer für den Anfang einen Halt böte. Hahns Vortrag bat, wie viel Einwürfe auch von manchen Seiten gemacht wurden, doch allgemeinen Beifall gefunden. Es thut mir leid, daß Du ihn nicht gehört hast; vielleicht gehst Du in dieser Woche einmal zu ihm (Ritterstr. 65), um Dir diesen Entwurf vorlesen zu lassen. Von der Möglichkeit eines trennenden Einflusses versch. pol. Ansichten unter Gebildeten ist darin gar nicht die Rede. Das politische Gedicht soll, wie jedes andere, durch die Macht der Schönheit für sich einnehmen, u. kraft derselben wird es jeden Gebildeten zur Anerkennung vermögen. 225 [...]
Komm' am Sonntag in den Tunnel. — 226
Zumindest zweierlei ist an dieser Textpassage in unserem Zusammenhang interessant; Lepel versucht erstens, den politischen Streit mit Fontane dadurch zu entschärfen, daß er einerseits zwar an der für den „Tunnel" wichtigen Dominanz des .poetischen' Diskurses festhält, andererseits aber die Gattung .politisches Gedicht' zu einem legitimen Bestandteil desselben erklärt; zweitens hat für von Lepel die Vision eines „durch ganz Deutschland verzweigten Schriftstellervereins' eine solche Faszination, daß er Fontane auf den Weg schickt, sich dieses Konzept nicht entgehen zu lassen, sondern genauer zu studieren. 227
Oben konnte gezeigt werden, wie die Berliner Bemühungen — etwa im Lehrerbereich — um „Reorganisation" im Jahre 1848 die Tendenz haben, überregional, d. h. .gesamt- deutsch', zu wirken und damit auf dem jeweiligen partikulären Feld eines der beiden seit Beginn des Jahrhunderts immer wieder .von unten' geforderten Ziele — die deutsche .Einheit' — vorwegzunehmen. Allein die Tatsache, daß eine derartige Vision im „Tunnel" vorgetragen und beifällig auf genommen werden kann, zeigt, wie stark einzelne „Tunnel'-Mitglieder in den ,Sog' des .Aufbruchs' von 1848 geraten sind. Allerdings müssen Zweifel angemeldet werden, ob es Fontane möglich ist, Lepels Einheits'-Begeisterung zu teilen: In seinem am 7. November in der „Berliner Zei- tungshalle" erschienenen Artikel „Einheit oder Freiheit?" wendet er sich nämlich scharf gegen alles Einheitsstreben, so wie es im Augenblick praktiziert wird:
Unsere Einheit ohne das ganze Maß der Freiheit ist ein Unding (...]. Ohne Freiheit gibt es wohl eine Einheit der Kabinette, eine Einheit der Polizei, eine Einheit von allem möglichen, nur nicht eine Einheit des deutschen Volks. Nein, keine Einheit um jeden Preis, überhaupt kein Streben nach Einheit; sie muß sich geben wie die Liebe, — aller Zwang ist ihr Tod. Nur „Freiheit um jeden Preis! " 228
Hiermit bekräftigt Fontane eine Überzeugung, die er bereits 1842 in seinem Gedicht -Einigkeit" vertreten hatte, das damals in der „Eisenbahn" nicht hatte erscheinen können. 229
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Von Aufbruchstimmung ist auch bei von Merckel — man möchte sagen: natürlich — nichts zu spüren. Sein „General-Bericht über das 21 te Tunneljahr 1847/48", der auf der Stiftungsfeier am 3. 12. 1848 erstattet wird, fällt mager und pessimistisch aus: "Vielleicht seit dem Bestehen unsres Vereins ist die Thätigkeit des heute beschlossenen Jahres die geringfügigste, wenigstens ihrem Umfange nach, gewesen." 230 Im
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