übrigen erfährt man nun auch offiziell, daß es in der sitzungslosen Zeit keineswegs an Kontakten gefehlt hat:
In der Zwischenzeit vom 12ten März bis 22ten October haben häufige Privat- Versammlungen stattgefunden, die freilich sich auf tete-à-tete's reduzirten bis „es fern am Blumenstrand „still verschwand!“
Die Präsenzliste hat dadurch aber so große Lücken erlitten, als die Künste Ausfälle. 231
Dies klingt sehr verhalten: und man wundert sich, daß der so streitbare Merckel sich so sehr zurücknimmt. Doch bald merkt man, daß sich Merckel seine Pfeile für den Schluß seines Berichtes aufbewahrt hat. Nach der üblichen „Mitgliedertafel", die „sich wenig verändert" habe, heißt es nämlich in aller Deutlichkeit:
Die unnatürliche Erschütterung, welche unser Vaterland betroffen hat, über deren Ursprung, Karakter und Wirkungen die Geschichte noch mit dem Urteil zögert, hat auch unser Stillleben erfaßt und unsere poetische Einsiedeley eingenommen.
Es gilt: Auswandern oder Neubauen! Noch geht gleichsam der Herbstwind über die leere Stätte, und wir wohnen unter einem einstweiligen Verschlage. Hin ist hin! Kein Neues ersetzt das Alte vollständig. Vielleicht dem Auge und dem Verstände, nimmer dem Herzen und der Erinnerung!
So lassen Sie uns denn heute noch einmal in alter Weise unsrer Gewohnheit genugthun!
Vielleicht ist unser heutiges Fest das Letzte seiner Art. Lassen Sie uns denn diese Stunden auf die einzig mögliche Weise verbringen — durch ihren Genuß !2 23
Hier wird also — wie im reaktionär-konservativen Lager seit rund 60 Jahren üblich — zunächst der Versuch gemacht, die Revolution durch Naturmetaphorik aus dem Bereich des von Menschen Gewollten auszugrenzen und durch Überführung in die Jah- reszeiten-Zyklik zu mythisieren. 233 Aber der Gedanke an einen möglicherweise neuen .Frühling' tröstet offensichtlich nicht; zu stark ist das Gefühl, unumkehrbaren Ereignissen ausgesetzt zu sein. Wird der Verein sich ihnen stellen?
Das Protokoll der Ersten Sitzung vom 3. Dezember verrät, wie es nach Merckels apokalyptischem „General-Bericht" weitergeht:
Hierauf wird zur Arbeit geschritten. Es liegen drei Späne von Lafontaine, Cocceji und Tasso vor, und demnächst die zufolge Beschlusses vom 19t en Novbr zu reproduzirenden Cartesianischen Vorschläge.
Der Verein bewilligt den Spänen die Priorität. 234
Wieder erhält also — als sei nichts gewesen — die .Poesie' den Vorrang. So trägt u. a. Fontane sein Gedicht „Chevy-Chase oder die Jagd im Chevy-Forst" vor, 235 das mit „sehr gut" bewertet wird. 236
Merckels Protokoll-Passagen, die der dann endlich doch einsetzenden Reform-Diskussion gewidmet sind, bedienen sich ganz der beliebten Haus-Metaphorik, durch die — gepaart mit dem stilistischen Mittel pathetischer Übertreibung — das Modernisierungsunternehmen mehr und mehr ins Komische verschoben wird, wo es sich — offenbar nach Meinung des Protokollanten — gleichsam selbst erledigt:
Jetzt tritt Cartesius abermals mit seinen Vorschlägen zur Restauration der Kunst in Deutschland auf. Er läßt nur Weniges unvorgetragen. Der schon früher geschilderte Riesenbau wächst vor schwindelnden Augen auf; ein Pyra-
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