Walter Hettche, München
Von Flußkrokodilen, Eidechsen und Nashörnern. Anmerkungen zu Fontanes Aufenthalt in München 1859
München gehört nicht zu den Städten, die man ohne weiteres mit Theodor Fontane in Verbindung bringt. Allenfalls als Sitz zweier Verlage, die sich um die Edition seiner Werke verdient gemacht haben, spielt die Stadt in der Fontane-Forschung eine nicht unbedeutende Rolle. Doch die vier Wochen vom 25. Februar bis zum 28. März 1859, die Fontane in der bayerischen Haupt- und Residenzstadt zubrachte
— in einem der hundert Zimmer des Augsburger Hofes logierend, einem guten Hotel in der Schützenstraße nahe am Bahnhofe, mit Billard und Bierlokalitäten zu ebener Erde, [und] einem Speisesaale im ersten Stocke", 1 wie es in einem zeitgenössischen Stadtführer heißt —, sind kaum Gegenstand gründlicher Untersuchungen geworden. Ein 1962 erschienener Band mit dem Titel „Fontane und München" versammelt
— verdienstvoll genug — Dokumente über Fontanes Beziehung zu der Stadt, stellt sich aber im übrigen als eher heimatkundliche Publikation dar; im Vorwort bedauert man, „daß wir [gemeint sind die Münchner] nicht auch Fontane zu unseren Wahlbürgern zählen dürfen." 2 Die großen Fontane-Monographien haben für den Münchner Aufenthalt nur wenige Sätze übrig. Hans-Heinrich Reuter, um kräftige Worte nie verlegen, spricht von einem „gespenstisch anmutenden Intermezzo" und kommt alsbald zum Schluß; „Der vierzigjährige Fontane [. . .] in der klassizistischen Poetenrunde am Hofe des Wittelsbachers . . . Wir dürfen abbrechen." 3 Auch Helmuth Nürnberger bringt in seinem „Frühen Fontane" wenig mehr als einen gedrängten Überblick über die Münchner Tage/ die Zeittafel seiner Rowohlt-Monographie „Theodor Fontane in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten" 5 unterschlägt sie ganz, und für Walter Müller-Seidels Untersuchung der „sozialen Romankunst" Fontanes geben sie ohnehin nicht viel her.
Ich möchte versuchen, anhand einiger wenig beachteter Dokumente aufzuklären, warum Fontane München den Rücken gekehrt hat, nachdem er im „Wirrwarr wider- streitender Gefühle" 6 Heyses Einladung vom 11. Februar gefolgt war. „Alle Dinge haben ein paar Ursachen", heißt es in Goethes „Götz von Berlichingen", und so stellt sich die Lage auch in diesem Falle dar: Die Gründe für Fontanes Heimkehr nach Berlin sind vielfältiger Art, und sie liegen nicht nur in den äußeren Umständen, die er in München vorfand.
Der Anlaß für Fontanes Reise nach München war die Hoffnung, die Stelle eines Privatbibliothekars und Vorlesers am Hofe König Maximilians II. zu erhalten. Heyse schreibt am 11. Februar 1859 an Fontane:
Löher, der Privatbibliothekar des Königs, soll (. . .) demnächst zur Universität übergehen. Es fragt sich, ob er dann die mancherlei Pflichten seiner bisherigen Stellung noch versehen kann. Wir wissen, daß der König noch immer einen literarischen Amanuensis sucht, der ihm Berichte über Novitäten, kleine Auszüge od. dergl. macht. Ist ein solcher nebenbei ein Poet, um so besser. Ist er gar ein Poet wie Ew. Liebden, um so tausendmal besser. Bei dieser Stelle kommt aber natürlich, da sie so sehr persönlich ist, alles auf die Persönlichkeit an. Wie wir den König und seine Vorliebe für wohlgewachsene, gewandte, reingewaschene Männer kennen, zweifeln wir alle nicht, daß gerade Du ihm mächtig Zusagen würdest. 7