Heyse fügt aber sogleich hinzu: „ [...] die Aussichten sind durchaus günstig, obwohl ich mich gleich dagegen verwahren muß, als eröffnete ich Dir irgendwelche Aussichten." 8 Dieses Warnzeichen erwies sich bald als allzu berech tigt, denn Franz Löher blieb auf seiner Stelle, und der König hatte kein großes Interesse an der Berufung weiterer ortsfremder Literaten an seinen Hof. Er erinnerte sich an die Konflikte, die es seit der Berufung Geibels im Jahre 1852 zwischen den einheimischen Hofbeamten und Mitgliedern der königlichen Tafelrunde auf der einen und den berufenen ,Nordlichtern' auf der anderen Seite immer wieder gegeben hatte, Auseinandersetzungen, die sich vor allem an dem Einfluß entzündeten, den der König seinen gelehrten Günstlingen auch in wichtigen Personalfragen, z.B. Un ; - versitätsberufungen, gewährte. Er dachte also vorderhand gar nicht daran, einen weiteren .Preußen' nach München zu holen. Fontane jedoch betrachtete seine Anwesenheit in München in erster Linie als eine Art Manöver, um mit Hilfe Heyses und Geibels den König, für sich einzunehmen und die Bibliothekarsstelle doch noch zu erhalten — während Heyse, wie er schon in seinem Brief vom 11. Februar andeutete, den Aufenthalt in München als einen Wert an sich betrachtete, gleichgültig, ob Fontane eine Anstellung erhielt oder nicht. Aus Heyses unveröffentlichtem Tagebuch 9 geht hervor, daß er keine Mühen gescheut hat, Fontanes Tage in München so angenehm und ereignisreich wie möglich zu gestalten. Ausflüge nach Nymphenburg, nach Neuhausen und in die Menterschwaige — am Faschingsdienstag, der in München in der Rangfolge der Feiertage bis heute gleich nach Weihnachten kommt —, Besuche bei der geistigen Elite Münchens und Festlichkeiten im Hause Kugler-Heyse sind ebenso verzeichnet wie der Besuch dreier Sitzungen der .Krokodile', jener Münchner Dichtergesellschaft, die Heyse am 5. November 1854 mitbegründet hatte, um mit ihr den Streit zwischen den 'Nordlichtern' und den ihrerseits im .Poetenverein an der Isar' organisierten einheimischen Dichtern aufzuheben. Der Name .Krokodil', den man sich erst eine Zeitlang nach der Gründung gab, leitete sich von Hermann Linggs Gedicht .Das Krokodil zu Singapur' her und bezeichnete das poetische Programm des Münchner Dichterkreises. Heyse zitiert das Gedicht in seinen 1900 erschienenen „Jugenderinnerungen und Bekenntnissen" und erläutert seine Bedeutung für den Verein:
Das Krokodil zu Singapur
Im heil'gen Teich zu Singapur Da liegt ein altes Krokodil Von äußerst grämlicher Natur Und kaut an einem Lotosstiel.
Es ist ganz alt und völlig blind.
Und wenn es einmal friert des Nachts,
So weint es wie ein kleines Kind,
Doch wenn ein schöner Tag ist, lacht's.
Der erhabene Charakter dieses Amphibiums schien uns trefflich zum Vorbild idealistischer Poeten zu taugen, und wir hofften, in unserm Münchener .heiligen Teich' dermaleinst ebenso gegen die schnöde prosaische Welt gepanzert zu sein, wie jener uralte Weise, der nur noch für den Wechsel der Temperatur empfindlich war. 10
Die Besuche in diesem „heiligen Teich" haben zu Fontanes Entschluß, München wieder zu verlassen, ganz offenkundig entscheidend beigetragen.
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