Heft 
(1990) 50
Seite
87
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In denJugenderinnerungen und Bekenntnissen" spricht Heyse vom Berliner ,Tunnel über der Spree' und kritisiert dabei vor allemdie würdigen alten Herren, die hohen Staatsbeamten, Schulräthe, pensionirten Majore, die im /Tunnel' die Mehrzahl gebildet hatten" und einpedantisches Censurenertheilen", 11 das dort an die Stelle eines zwanglosen Austauschs über Literatur getreten sei. In München wollte er es anders anpacken und, wie es im Tagebuch vom 26. Oktober 1854 heißt, einenneuen Tun­nel" einrichten, der die Mängel des alten in Berlin nicht wiederholen sollte. Die Zusammensetzung der ,Krokodile' ist auch ein Ausdruck dieses Neuen, denn anders als im /Tunnel' waren hier die professionellen Dichter in der Mehrheit, während die dichtenden Dilettanten fast ganz fehlten. Doch auch die Strukturen des Vereins­lebens unterschieden sich grundsätzlich von den im /Tunnel' gepflegten. Zwar gab man sich auch bei den »Krokodilen' Decknamen wie im .Tunnel', aber die aus dem Tierreich entnommenen Pseudonyme sind nicht in allen Fällen ihren Trägern zweifels­frei zuzuordnen, und von dem im .Tunnel' immerhin noch spürbaren Bemühen, einen Bezug zwischen dem Vereinsnamen und der Person herzustellen, ist im Falle der »Krokodile' begreiflicherweise nicht viel übrig geblieben. Zwar gründete man eine Bibliothek, aber ihre von den Mitgliedern gestifteten Bestände blieben mager, und das Ausleihbuch zeigt sich einigermaßen lückenhaft. Auch mit der Ausarbeitung von Vereinsstatuten nahm man es bei weitem nicht so genau wie im .Tunnel'. Zwar legte man ein Rechnungsbuch an, aber die Energie, es zu führen, reichte nur für ein paar Seiten. Zwar wurde über die einzelnen Sitzungen Protokoll geführt, aber in durchaus unernster Manier, gelegentlich in Versform und auf einzelnen Zetteln, den soge­nannten .Lotosblättern', von denen sich nur ganz wenige erhalten haben. Sie wurden gesammelt und in einer Pyramide aus Pappmache aufbewahrt, deren Anschaffung den ersten Posten im Rechnungsbuch des Vereins bildet, aber erhalten hat sich dieses Behältnis ebensowenig wie das tönerne Krokodil, von dem es im Katalog zur Heyse- Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek im Jahre 1981 heißt, daß eszusammen mit dem Nachlaß Heyses in den Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek über [ging], wo es bis zur Ausbombung im 2. Weltkrieg einen Stahlschrank im Dienstraum des Direktors der Handschriftenabteilung zierte." 12

Die Gründe für dieses Pflege des Nonsens liegen nicht nur in der bewußten Abgren­zung gegenüber dem .Tunnel', der von solcher Narretei ja auch nicht frei war, son­dern in einer weiteren Besonderheit des Münchner literarischen Lebens dieser Zeit. All die Sorgfalt und ins Pedantische reichende Strenge, mit der der .Tunnel' seine Geschäfte führte, kennzeichnet in München die Symposien, die Abendunterhaltungen in der Residenz bei König Maximilian. Anders als sein Vater Ludwig I., dessen größte Aufmerksamkeit der bildenden Kunst und der Architektur galt, war der historisch interessierte Ranke-Schüler Maximilian um eine besondere Pflege der Literatur und der Wissenschaften bemüht, deren damals führende Vertreter er an seinen Hof berief. Das Berufungsschreiben seines Beraters Wilhelm von Dönniges an Paul Heyse zeugt von der Großzügigkeit, die der König walten ließ, macht aber auch deren Grenzen deutlich:Sie würden im Fall [.. .] Ihrer Uebersiedlung hieher keine weitere Ver­pflichtung als die des hiesigen Aufenthalts zu übernehmen haben und zwar auch nur in den Zeiten des Jahres, so Se. Majestät sich hier in München befinden. Sonst würden Sie ganz freier Herr Ihrer Zeit bleiben." 13 Im gleichen Brief heißt es indessen schon andeutend, daß der König den Berufenen zwareine großherzige Unterstüt­zung zur Entwicklung aller ihrer Kräfte" angedeihen lassen wolle,allerdings auch an den höheren Genüssen eines geistreichen Umgangs Theil zu nehmen" wünsche.

Die Symposien waren trotz Billardspiels, Bier und Sandwiches, denen man sich hin­gab, gegen Ende der fünfziger Jahre nicht mehr die zwanglos-unverbindlichen