Fontane als Schriftsteller zu unbekannt — und, wenn man ehrlich ist, nach den bis dahin vorliegenden Arbeiten auch schlicht zu unbedeutend um sich in dieser Eigenschaft dem König zu empfehlen. Die von Heyse angeregte Vorstellung, Fontane müsse nur einige bayerische Nationalballaden verfassen, um dem König seine Qualifikation zu demonstrieren, nimmt sich angesichts der zumindest quantitativ unbestreitbar größeren Leistungen etwa Heyses und Geibels geradezu grotesk aus. Im übrigen hat das Verlangen Maximilians II., die bayerische Geschichte in Balladenform bedichtet zu sehen, schon 1854 einen „heiligen Schreck" 21 bei Heyse ausgelöst, und Fontane schien ihm ein willkommenes Opfer, den 1859 noch immer unbefriedigten königlichen Lieblingswunsch endlich zu erfüllen.
Zu der Fehleinschätzung sowohl der Erwartungen, die von seiten des Hofes an den Aspiranten auf die Stelle eines königlichen Privatbibliothekars gerichtet wurden, wie auch seiner eigenen persönlichen Voraussetzungen für die Übernahme einer solchen Position tritt ein weiterer Wesenszug des frühen Fontane, eine Eigenschaft, die ihm selbst wohl nur in Ansätzen bewußt gewesen ist. Er äußert einmal in einem Brief an Emilie vom 2. August 1856: „Für einzelne Menschen muß ich in meinem Wesen etwas Unleidliches haben." 22 Dieses .Unleidliche' äußert sich bisweilen in einer Voreingenommenheit gegenüber Menschen und Orten, einem Hang zu nörgelnder Wehleidigkeit, der besonders in den Briefen aus London gelegentlich pathologische Züge annimmt und sich erst im Alter zu jener Skepsis und kritischen Ironie klärt, die man an den Werken und Briefen der achtziger und neunziger Jahre schätzt. Wenn Fontane als 37jähriger Nürnberg einen Kurzbesuch abstattet, schreibt er: „Nürnberg, das vielberühmte, ist interessant, aber durchaus nicht schön"; 23 drei Tage später besichtigt er das Heidelberger Schloß, das ihn „anfangs enttäuschte, bis ich schließlich doch in volle Bewunderung überging", 24 in Mannheim — wie später in zahllosen anderen Orten — zieht es ihm zu sehr, 25 und kaum hat er Paris betreten, bringt er diesen säuerlichen Reisebericht zu Papier:
Das Großartigste, was ich von Paris bis jetzt gesehn habe, ist das Hotel, ln dem ich wohne. Im übrigen läßt sich mein Entzücken halten. Etwas mag an meiner Stimmung liegen, aber nicht alles. Es kommt mir alles so räuberhaft vor; eine Unmasse konfiszierter Gesichter, und bei aller Pracht und Schönheit doch auch furchtbar viel Plunder. — Mein Entzücken wird schwerlich sehr wachsen. Die Größe der Stadt imponiert mir nicht, denn gegen London ist es ein Quark; die Kinkerlitzchen und .geschmackvollen Arrangements' aber lieb' ich nicht, wenn sie nicht mehr sind als Schein. [.. .] ich (.. .] wollte, ich hätte die pflichtschuldige Besichtigung dieser Sehenswürdigkeiten hinter mir. 215 Wenn man eine solche Abhängigkeit von Stimmungen, ersten Eindrücken und einem Teil Voreingenommenheit in Erwägung zieht und das Unterhaltungsprogramm, das Heyse seinem Gast in München geboten hat, Fontanes Klagen über Langeweile entgegenhält, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als habe er sich von Anfang an vorgenommen, München nicht zu mögen. In den Briefen, die er in diesen vier Wochen schreibt, fällt denn auch kein einziges Wort über die Schönheit der Stadt und ihrer Umgebung — wohl aber über den „halbfußtiefe [n] Schmutz in den Straßen" 27 —, kein Wort über die Menschen, die er kennenlernt (darunter immerhin Persönlichkeiten wie Justus von Liebig, Heinrich von Sybel, Ferdinand von Miller und Wilhelm Heinrich Riehl), nichts über die Ausflugsorte, die er besucht — wenigstens Schloß Nymphenburg hätte dem historisch interessierten Fontane doch eine Zeile wert sein können -, und ähnlich wie Lessing, dem als einzige sinnliche Erfahrung seiner Italienreise die dort verzehrten „Mehlknöteln" in Erinnerung geblieben sind, lobt Fontane lediglich das „Rindfleisch mit Meerrettig-sauce und hinterher
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