Heft 
(1990) 50
Seite
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hafter Weise ins poetische Bild gefaßt imStechlin", in dem berühmten Passus seiner Einleitung, wo es heißt, der stille See werde von Zeit zu Zeitlebendig" und reagiere dann mit Wellenschlägen auf Erdbeben in aller Welt,sei's auf Island, sei's auf Java". 1 Der Erzähler holt gleichsam den Lärm des ganzen irdischen Weltgetriebes in den Roman herein, der märkische Schauplatz erscheint stellvertretend für die Welt.

Interessant ist dabei, daß es, wie Kommentatoren angemerkt haben, den sensibel rumorenden See Stechlin in der märkischen Realität gibt. Selbst bei dieser höchst artifiziell anmutenden Welt-See-Parabel hat also Fontane auf die Wirklichkeit zurück­gegriffen. Dieser subtile Realitätsbezug nun führt uns an ein Werk Fontanes heran, in dem doch einmal die Szenerie in eine ferne Welt wechselt, an den RomanQuitt", dessen zweite Hälfte, vom Schlußkapitel abgesehen, in Amerika spielt, in dem Indian Territory gar, dem heutigen Oklahoma. Dort liegt, so liest man, die Mennoniten- Siedlung Nogat-Ehre, die aus einer Großfamilie unter dem Patriarchen Obadja Horn­bostel besteht. Freilich ist diese erfundene Auswanderer-Farm letztlich weniger ein exotischer Ort als ein Preußen im kleinen,eine Art preußisches Amerika" (Peter Demetz 2 ). Das Fremdartige hat hier, wo man auch die sonst von Fontane gewohnten Landpartien mit Kaffeetrinken unternimmt, doch verhältnismäßig geringen Raum. Die immerhin auftretende gänzlich exotische Figur, der Indianerhäuptling Gun- powder-Face, spielt seine Rolle nur als milde belächeltes Unikum und erweist sich so als der literarische Nachfahre des bekehrten Eskimos aus FontanesVor dem Sturm", über den Tante Schorlemmer betulich plaudern durfte.

Eine nicht exotische, aber in mehrfacher Beziehung sehr fremdartig anmutende Figur inQuitt" ist der Franzose Camille L'Hermite. Er wurde nicht nur aus seiner europäischen Heimat in die Verbannung geschickt, sondern hat inzwischen auch die Flucht aus seinem Zwangsexil Neukaledonien hinter sich. Der Lebenslauf der Haupt­figur vonQuitt", Lehnert Menz, der in Deutschland einen schikanösen Förster tötete und dann nach Amerika floh, erhält ein Gegenstück in dem Schicksal Camille L'Hermites, der ebenfalls an einer Blutschuld trägt: Camille gehörte zu den Aktiven der Pariser Kommune von 1871, er befehligte die Soldaten, die in den letzten Tagen der Kommune den Erzbischof von Paris füsilierten. Hans-Heinrich Reuter hat in zwei Aufsätzen, 3 der erste von 1966, mit Nachdruck auf die Dualität der Fälle Lehnert und Camille, auf dasHochbewußte der Paarung" inQuitt" hingewiesen: die zunächst auf das Private begrenzte Exilgeschichte Lehnerts mit ihrer engen Büßer­thematik werde in der Figur Camille ins Politische hinausgeführt. Von hier aus und mit weiteren Argumenten (die sich auf die beifälligen Äußerungen inQuitt" über das amerikanische Staatswesen beziehen) kommt Reuter zu dem Schluß,Quitt" sei dererste Exilroman der modernen deutschen Literatur". Diesem pauschalen Urteil wurde mit guten Gründen widersprochen4 aber Reuters Betonung der radi­kalen politischen Gedankengeflechte in diesem Roman bleibt ein bedeutsamer Mark stein seiner Rezeptionsgeschichte.

Der mit dem ganzen Erdball kommunizierende See Stechlin hat, wir sagten es, sein Vorbild in der Realität, und so liegt die Frage nahe, ob Camille L'Hermite, der Mann, der Lehnerts persönliche, an Preußen gebundene Lebensproblematik ins Allgemein-Politische weiterträgt, ebenfalls der Wirklichkeit nachgebildet ist. Welche realen Personen, eine oder mehrere, verbergen sich hinter Camille, dem blutig agierenden Kommunarden und mühsam entronnenen Sträfling?

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Es gibt bisher nur eine Untersuchung, die der Frage nach Camille L'Hermites spe­ziellen Vorbildern nachgeht. Reine Chevannes ArbeitMonsieur L'Hermite, assassin

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