Heft 
(1990) 50
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zynische Revolutionär, der im Namen der republikanischen Idee von der Gedanken­freiheit in der Stunde, die für die schon praktisch besiegten Revolutionäre die hoff­nungsloseste war, mit fanatischer Leidenschaft daran mitgewirkt hat, daß ein krimi­neller Akt zu Ende geführt wurde, der dem antiklerikalen Ideal der Kommune ent­sprach". 11 Man mag diese Formulierung Chevannes zu hart finden, besonders da sie sich nicht allein auf Verig, sondern auch auf L'Hermite bezieht. Doch deckt sie sich nicht nur mit dem hochmütigen Auftreten Verigs unmittelbar nach der Tat, sondern auch mit meiner Äußerung, die im Roman der junge Toby Hornbostel über den Revolutionär macht:Er hat nur eine Menschheitsbeglückungsidee, der er alles opfert und am liebsten einen Erzbischof, einen Empereur, einen Papst." 12

Für Chevanne sind die Ereignisse der Pariser Kommune das einzige Reale, was Fontane in seine Figur Camille L'Hermite hineingewoben hat. Von dem historischen Fall ausgehend,um diesen Kern von authentischem Leben", 13 habe Fontane für L'Hermite eine Vergangenheit konstruiert: seine frühen Jahre als Bergmann und Fabrikarbeiter, seine Hinwendung zum Atheismus mit 19 Jahren, seine Erfahrungen und Leiden als Aufständischer von 1848 und seine mit Auszeichnung durchstandenen Kriegsjahre auf der Krim. 14 Auch seine abenteuerlichen Erlebnisse nach 1871, so Chevanne, seien erfunden. Verig ist, so teilt sie mit, in den letzten Straßenkämpfen der Kommune umgekommen. 15

Die Autorin geht noch auf die NamensgebungL'Hermite" ein und erinnert an den historischen Pierre L'Ermite, den Mönch, der 1095 in Clermont zum ersten Kreuz­zug aufgerufen hat. Auch Fontanes L'Hermite habe für seine Ideen so etwas wie einen Kreuzzug führen wollen, er seiin seiner Art ein begeisterter Glaubensapostel" gewesen. 16 Dieser Vergleich ist plausibel; zudem hat Fontane in seinem Frankreich- BuchAus den Tagen der Okkupation" diesem Pierre L'Ermite Fontane schreibt bezeichnenderweise: L'Hermite einen ganzen Abschnitt gewidmet. Er hatte das Denkmal diesesPeter von Amiens" an Ort und Stelle besichtigt. Noch imStechlin" läßt er seine Personen über diesen Kirchenmann diskutieren. 1 7

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Um das Thema der Hinrichtung inQuitt" zu deuten und um vor allem Camilles

lobende Worte über den Erzbischof (er sei gestorbenwie ein Held, wie nur die von

der Kirche zu sterben verstehen") recht zu erfassen, muß man die Tatsache beden­

ken, daß Fontane in den siebziger Jahren mit dem franzöischen Katholizismus in

enge Berührung gekommen war. Dies hängt mit seinen eigenen bitteren Erlebnissen

in Frankreich zusammen. Fontane, der als Kriegsberichterstatter Frankreich bereist

hatte, war am 5. Oktober 1870 in Domremy (Lothringen) unter dem Verdacht der

Spionage verhaftet worden und hatte anschließend fast zwei Monate unter steter Todesgefahr in verschiedenen französischen Gefängnissen zugebracht; zuletzt drei

Wochen auf der Atlantikinsel Oleron bei La Rochelle. Daß er schließlich freigelassen

wurde, verdankte er neben anderen der Katholikin Elsy von Wangenheim, einer

Berliner Freundin der Fontanes, die ihre Beziehungen zu dem Kardinalerzbischof

von Besancon, Cesaire Mathieu (17961875), ins Spiel gebracht hatte. Mathieu enga­gierte sich sofort für den gefangenen Schriftsteller und bewirkte zunächst einmal eine bessere Behandlung Fontanes in seiner unglücklichen Lage:ohne die Für­sprache des Kardinals", schreibt Fontane am 18. November 1870 von der Ile d'Oleron an seine Frau,wär ich den Strapazen wahrscheinlich erlegen." 18

Man kennt seit langem schon einen Brief Fontanes (genauer: den Entwurf hierzu)

an Mathieu vom 5. Oktober 1871, demJahrestag der Gefangenschaft", wie Fontane

notiert, der Teil einer freundschaftlichen Korrespondenz ist, die sich zwischen Fon-

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