zynische Revolutionär, der im Namen der republikanischen Idee von der Gedankenfreiheit in der Stunde, die für die schon praktisch besiegten Revolutionäre die hoffnungsloseste war, mit fanatischer Leidenschaft daran mitgewirkt hat, daß ein krimineller Akt zu Ende geführt wurde, der dem antiklerikalen Ideal der Kommune entsprach". 11 Man mag diese Formulierung Chevannes zu hart finden, besonders da sie sich nicht allein auf Verig, sondern auch auf L'Hermite bezieht. Doch deckt sie sich nicht nur mit dem hochmütigen Auftreten Verigs unmittelbar nach der Tat, sondern auch mit meiner Äußerung, die im Roman der junge Toby Hornbostel über den Revolutionär macht: „Er hat nur eine Menschheitsbeglückungsidee, der er alles opfert und am liebsten einen Erzbischof, einen Empereur, einen Papst." 12
Für Chevanne sind die Ereignisse der Pariser Kommune das einzige Reale, was Fontane in seine Figur Camille L'Hermite hineingewoben hat. Von dem historischen Fall ausgehend, „um diesen Kern von authentischem Leben", 13 habe Fontane für L'Hermite eine Vergangenheit konstruiert: seine frühen Jahre als Bergmann und Fabrikarbeiter, seine Hinwendung zum Atheismus mit 19 Jahren, seine Erfahrungen und Leiden als Aufständischer von 1848 und seine mit Auszeichnung durchstandenen Kriegsjahre auf der Krim. 14 Auch seine abenteuerlichen Erlebnisse nach 1871, so Chevanne, seien erfunden. Verig ist, so teilt sie mit, in den letzten Straßenkämpfen der Kommune umgekommen. 15
Die Autorin geht noch auf die Namensgebung „L'Hermite" ein und erinnert an den historischen Pierre L'Ermite, den Mönch, der 1095 in Clermont zum ersten Kreuzzug aufgerufen hat. Auch Fontanes L'Hermite habe für seine Ideen so etwas wie einen Kreuzzug führen wollen, er sei „in seiner Art ein begeisterter Glaubensapostel" gewesen. 16 Dieser Vergleich ist plausibel; zudem hat Fontane in seinem Frankreich- Buch „Aus den Tagen der Okkupation" diesem Pierre L'Ermite — Fontane schreibt bezeichnenderweise: L'Hermite — einen ganzen Abschnitt gewidmet. Er hatte das Denkmal dieses „Peter von Amiens" an Ort und Stelle besichtigt. Noch im „Stechlin" läßt er seine Personen über diesen Kirchenmann diskutieren. 1 7
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Um das Thema der Hinrichtung in „Quitt" zu deuten und um vor allem Camilles
lobende Worte über den Erzbischof (er sei gestorben „wie ein Held, wie nur die von
der Kirche zu sterben verstehen") recht zu erfassen, muß man die Tatsache beden
ken, daß Fontane in den siebziger Jahren mit dem franzöischen Katholizismus in
enge Berührung gekommen war. Dies hängt mit seinen eigenen bitteren Erlebnissen
in Frankreich zusammen. Fontane, der als Kriegsberichterstatter Frankreich bereist
hatte, war am 5. Oktober 1870 in Domremy (Lothringen) unter dem Verdacht der
Spionage verhaftet worden und hatte anschließend fast zwei Monate unter steter Todesgefahr in verschiedenen französischen Gefängnissen zugebracht; zuletzt drei
Wochen auf der Atlantikinsel Oleron bei La Rochelle. Daß er schließlich freigelassen
wurde, verdankte er neben anderen der Katholikin Elsy von Wangenheim, einer
Berliner Freundin der Fontanes, die ihre Beziehungen zu dem Kardinalerzbischof
von Besancon, Cesaire Mathieu (1796—1875), ins Spiel gebracht hatte. Mathieu engagierte sich sofort für den gefangenen Schriftsteller und bewirkte zunächst einmal eine bessere Behandlung Fontanes in seiner unglücklichen Lage: „ohne die Fürsprache des Kardinals", schreibt Fontane am 18. November 1870 von der Ile d'Oleron an seine Frau, „wär ich den Strapazen wahrscheinlich erlegen." 18
Man kennt seit langem schon einen Brief Fontanes (genauer: den Entwurf hierzu)
an Mathieu vom 5. Oktober 1871, dem „Jahrestag der Gefangenschaft", wie Fontane
notiert, der Teil einer freundschaftlichen Korrespondenz ist, die sich zwischen Fon-
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