Heft 
(1990) 50
Seite
107
Einzelbild herunterladen

Goncourt oder Emile Zola (18401902) vertreten, die, ohne sich direkt zur Kommune zu bekennen, Verständnis für diesen politischen Aufbruch des Vierten Standes hatten.

Mit dem Namen Zola, der bezeichnenderweise inQuitt" offen genannt wird anläßich der Vorleseabende in der Mennoniten-Familie2 3 , ist ein Stichwort ge­fallen, das man für die Deutung und Einschätzung vonQuitt" nicht übergehen sollte. Allgemein läßt sich sagen, daß Fontanes interessierte, wenngleich nicht immer zu­stimmende Lektüre der Werke Zolas, die 1883 intensiv erfolgte, 24 zu seiner politi­schen Horizonterweiterung beigetragen hat. Was nun speziell Camille und seine möglichen Vorbilder betrifft, so wäre an zwei Romane Zolas zu denken. Der eine istGerminal"; darin tritt der umstürzlerische Sozialist Souvarine auf, der gelernter Mechaniker und im dritten Teil des Romans Zimmernachbar der Hauptperson Etienne Länder ist. (Die beiden Nachbarn sind Flüchtlinge, was auch anQuitt" gemahnt.) Diese Verbindung von revolutionärer Gesinnung und technischer Begabung bei Souvarine hat vielleicht bei der Konzipierung des Camille, des ,,Düftelgenie(s)", 25 mitgewirkt. Allerdings istGerminal" 1885 herausgekommen (in demselben Jahr auch auf deutsch), also erst in dem Jahr, in demQuitt" begonnen wurde. Der andere Roman istLa Faute de l'Abbe Mouret" (1875), auf deutsch unter dem Titel Die Schuld des Pastor Mouret" 1881 erstmals erschienen, ein Roman, von dem wir sogar ein Zeugnis haben (allerdings erst von 1894), daß Fontane ihn gelesen hat.2 6 In diesem Werk Zolas gibt es den Gutsverwalter Jeanbernat, der sich brüsk zu sei­nem Atheismus bekennt, und andererseits den Priester Mouret, die Hauptfigur, der von Zwangsvorstellungen gesteuerte Halluzinationen erlebt. 2 7 In Camille finden wir beides wieder, den schroff bekundeten Atheismus wie die halluzinatorischen Visio­nen; sollte er auch als eine Kombination aus den beiden Zolaschen Gestalten kon­struiert sein? 28 Damit sind wir, auf dem Umweg über Zola, wieder bei den mönchi­schen Zügen des revolutionären Camille angelangt, also bei dem Ineinander von religiösem und atheistischem Eiferertum, auf das uns Reine Chevanne hingewiesen hat. Dieses Ineinander hat seine Spuren auch in den achtungsvollen Worten Camilles über seinen weltanschaulichen Gegner, den Erzbischof, von denen wir in diesem Abschnitt ausgegangen sind.

4

So neuartig und außergewöhnlich der Fall Camille L'Hermite als Politikum in Fon­tanes Werk ist, so ist es andererseits doch ebenso erstaunlich, daß Camille, der alles in allem positive Held, ein Globetrotter wenn auch ein unfreiwilliger ist. Camilles Erlebnisse als Verbannter und als Flüchtling aus dieser Verbannung, diese Abenteuer Camilles, die ihn bis in die Südsee führten, machen ihn zu der am weitesten gereisten Figur in Fontanes Werk, vergleichbar allenfalls mit dem kuriosen Aleuten-Besucher Onkel August ausVon Zwanzig bis Dreißig", vor dem Fontane aber immer eiligst auf Distanz ging. Camille in seiner Rolle als .Weltdurchquerer' ist in Fontanes Werk ebenso außergewöhnlich wie Camille als der Revolutionär, und zu fragen ist, ob Fontane auch für diesen ,Weltdurchquerer', für den späten Camille, der nach Neukaledonien geschickt wurde und von dort entwich, ein reales Vorbild vor Augen hatte.

Tatsächlich gibt es einen Förderer der Pariser Kommune, der nach ihrer Unter­werfung zur Deportation nach Neukaledonien verurteilt wurde und dem von dort die Flucht gelang, der also Camilles Deportierten-Los vorgelebt hat. Es ist der Jour­nalist Victor-Henri de Rochefort-Lucay (18311913), der sich selbst schlicht Henri Rochefort nannte. Heute ist er, selbst in Frankreich, fast vergessen, seinerzeit aber stand er jahrzehntelang im Rampenlicht der Öffentlichkeit und wurde als ein zweiter