Voltaire angesehen. Auch Fontane erwähnt ihn in seinem Werk „Der Krieg gegen Frankreich 1870—71" einige Male. Wer war dieser Mann?
Rochefort 29 entstammte väterlicherseits einer streng royalistisch eingestellten Familie, ließ sich aber von seiner Mutter für republikanische und demokratische Ideen begeistern. Er wurde als Journalist weithin bekannt, als er 1868 die Zeitung „La Lanterne" (Die Laterne) gründete und darin in scharfen Polemiken das Zweite Kaiserreich unter Napoleon III. attackierte. Zeitweise war er Abgeordneter der Opposition. Im Februar 1870 wurde er wegen seiner Aufrufe zur Errichtung der Republik in Haft genommen, aber am 4. September, während der Volkserhebung nach der Niederlage von Sedan, von seinen Anhängern befreit. Fontane schreibt hierzu in seinem Buch über den deutsch-französischen Krieg: „Die auf dem Platz versammelten Tausende bildeten sofort Spalier, und zwischen ihnen hindurch, wie ein Triumphator, schritt der Laternenmann (d. h. Rochefort) auf die Treppe des Stadthauses zu." 30 Ab dem 18. März 1871 setzte er sich in seinem neuen Blatt „Le Mot d'Ordre" (Die Parole) für die Pariser Kommune ein, übte aber auch Kritik, die oft von seinen persönlichen Feindschaften (u. a. zu Raoul Rigault, der, wie erwähnt, den Erzbischof verhaften ließ) gefärbt war. Die Erschießung des Erzbischofs hat Rochefort als politisch unklug getadelt. Doch zu diesem Zeitpunkt war er nicht mehr unter den Kommunarden: er hatte Paris am 17. Mai 1871 verlassen und war vor den Toren von der offiziellen Polizei verhaftet worden. Er wurde der „complicite morale avec les communards" (geistigen Komplizenschaft mit den Kommunarden) beschuldigt, 31 am 21. September 1871 zur Deportation verurteilt und, nachdem er zwei Jahre in verschiedenen Gefängnissen zugebracht hatte, im Dezember 1873 nach Neukaledonien, der östlich von Australien gelegenen Sträflingsinsel, geschafft.
Im März 1874 - und nun wird der Leser von „Quitt" besonders aufmerken - unternahm Rochefort die Flucht zusammen mit fünf Mitgefangenen; unter ihnen war Paschal Grousset, der bekannte Publizist, und Olivier Pain, ein alter Kampfgefährte vom „Mot d'Ordre". Die Männer, die den Kapitän eines australischen Kohlentransporters bestochen hatten, gelangten in der Nacht vom 19. auf den 20. März, nach tagelangem, aufregendem Warten auf günstige Witterung, in einem Boot an das im Hafen liegende Schiff. Dabei ergab sich die zusätzliche Schwierigkeit, daß der Kapitän in dieser Nacht auf Zechtour gegangen war und der Steward, der nicht eingeweiht war, die sechs Ankömmlinge zuerst wieder von Bord weisen wollte. Rochefort erreichte Newcastle in Australien und danach Sydney, wo ihn, wie auch auf späteren Stationen der Reise, die Presse als berühmt-berüchtigten politischen Abenteurer feierte. Dabei soll er sogar, wie er an zwei Stellen seiner Autobiographie „Abenteuer meines Lebens" schreibt, von irischen Katholiken als ,Mörder des Erzbischofs' tituliert worden sein. 32 Begleitet nur noch von Pain, reiste Rochefort über die Fidschi- Inseln und Hawaii nach San Francisco und überquerte in der Eisenbahn den amerikanischen Kontinent. In Salt Lake City, der Mormonenstadt, soll er ehrfurchtsvoll das Tabernakel der Sekte bewundert haben. Die Männer erreichten New York und schließlich London, wo Rochefort wieder seine journalistische Tätigkeit zu entfalten begann. Er blieb im englischen, belgischen und Schweizer Exil bis zum Jahre 1880, als er im Zuge einer Generalamnestie nach Paris zurückkehrte. Hier griff er im „Intransigeant", wiederum einer von ihm gegründeten Zeitung, die Kolonialpolitik der Regierung Jules Ferrys heftig an.
So weit der Lebensweg Henri Rocheforts bis in die Jahre, als Fontane seinen „Quitt" schrieb. 33 Wir sehen, daß Camilles Schicksal große Ähnlichkeit mit Rocheforts Erlebnissen seit seiner Verurteilung hat. Dies gilt insbesondere für die Flucht aus Neukaledonien, über die in „Quitt" Camille erzählt: „Wir waren unserer drei, die's
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