15 Siehe Fontanes Brief an Wilhelm von Merckel vom 1. 3. 1858. In: Die Fontanes und die Merckels. Ein Familienbriefwechsel 1850—1870. Hrsg. G. Erler. Aufbau- Verlag 1987, I, S. 289.
16 Brief an T. Beutner vom 27. Dez. 1857. In: Theodor Fontane, Briefe I, S. 604. Hanser-Verlag, München, 1976.
17 Theodor Fontane: Briefe Zweite Sammlung (1910), Bd. II, S. 213f
Paul Irving Anderson, Aalen
Der Ibyskuskomplex.
Fontanes Verhältnis zum Vater
Besinnungsraubend, herzbetörend Schallt der Erinnyen Gesang,
Er schallt, des Hörers Mark verzehrend.
Und duldet nicht der Leier Klang:
„Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle Bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nahn.
Er wandelt frei des Lebens Bahn."
(Schiller, „Die Kraniche des Ibykus")
Zu Fontanes beliebtesten Prosastücken gehört das „Intermezzo. Nach vierzig Jahren" überschriebene 16. Kapitel von „Meine Kinderjahre". Zu seinen unbekanntesten Erzeugnissen gehören seine Jugendgedichte, die .fünfzig Jahre zuvor' entstanden. Allgemein bekannt ist der Umstand, daß die Kindheitserinnerungen zur Überwindung der krankhaften Vorstellung dienten, der Dichter dürfe nicht länger leben als sein Vater Louis Henri Fontane 1 . Solche der Psychiatrie bekannten Fixierungen sind — sinnbildlich gesprochen — wie verschüttete Blindgänger aus einem längst beendeten Kriege: entstanden wegen längst vergessener Konflikte sind sie von den Selbstschutzmaßnahmen der Seele mit Schichten des Vergessens zugeschüttet worden, aber beim „Ausbuddeln" — meist wegen neuer Bauarbeiten — können sie unter zu nahe Stehenden immer noch großen Schaden anrichten. Mittels einfühlsamer Expertise lassen sie sich auch entschärfen, doch anders als wirkliche Bomben enthalten sie Kräfte, die nicht nur zerstörerisch, sondern — vorausgesetzt, man weiß damit umzugehen — durchaus kreativ umgesetzt werden können. Das ist hier unser Thema: Wie Fontanes Komplex gegenüber dem Vater entstand und überwunden wurde, und darüber hinaus: was diese Erkenntnisse für die Interpretation seiner Dichtung und Persönlichkeit bedeuten.
Fontane selber hat über seine ihn gefährdende Fixierung anscheinend nie geschrieben; die Auskunft darüber verdanken wir seinen Kindern. Trifft es aber zu, daß er an einer solch irrationalen Vorstellung gelitten hat, dann hat sie ihm bei mancher Stelle die Feder geführt und zwar nicht erst im Krisenjahr 1892, sondern
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