bereits in der Jugendzeit. Lassen sich also im Jugendwerk Spuren einer Besetzung des Vaterbildes durch den Tod nachweisen? Jugendliche, wenn sie dichten, neigen meist zu Themen der Liebe und des Idealismus, worin Fontane keine Ausnahme darstellt — man denke an die vielen Gedichte an Minna oder an die bewegte „Her- wegh-Zeit"; aber in der längeren Ballade, „Das Gespensterschiff. Nach Capt. Marryat" herrscht ein Vater-Sohn Verhältnis vor. Dem methodischen Beispiel Charles Maurons und Wolfgang Paulsens folgend 2 wollen wir im weiteren die Jugendballade den Kindheitserinnerungen „überpausen", um aus gewissen wiederkehrenden Konturen einige Konstanten in Fontanes Seelenleben und Kreativität herauszuarbeiten.
Das Grundfaktum der Elternbiographie war ein langsamer, selbstverschuldeter Abstieg, der sich dem Jungen in den Swinemünder Jahren (1826—1838) noch nicht offenbart hatte, da sich die Eltern anfangs noch als salonfähig erwiesen; aber während Theodors Schulzeit — 1836 ging er nach Neuruppin aufs Gymnasium und schon ein Jahr danach nach Berlin auf die von Klödensche Gewerbeschule — hatten sie den Status einer wohlhabenden Apothekerexistenz eingebüßt und zogen zuerst nach Mühlberg an der Elbe, aber bald danach in das Dorf Letschin an der Oder in kleinere Verhältnisse um. Dem Jungen, der mit den Honoratiorenkindern gespielt und Privatunterricht genossen hatte, winkte keine bessere Zukunft als die eines Apothekergehilfen, und sein Groll über die Familienmisere, die auch zur Trennung der Eltern führte, währte jahrzehntelang. Verglichen mit den früheren kurzen Briefstellen bringt „Meine Kinderjahre" eine deutliche Änderung ins Bild der Eltern. Die Mutter bekommt weiterhin recht gegenüber dem Vater und dessen Spiellaster, wird aber wegen Strenge und Luxussucht auch zur Verantwortung gezogen; der Vater, dem bisher die Hauptschuld an der Verarmung der Familie angelastet wurde, wird nunmehr als erzählerisches Naturtalent und sehr angenehme Persönlichkeit aufgewertet, ohne daß seine Schwächen verniedlicht oder vergessen werden. In bezug auf seine Vorliebe für Anekdoten und anzügliche Konversation mit Damen sowie dank seiner »sokratischen Methode" zur Erlernung der Geschichte gehe manches vom Dichtertalent auf dieses Vorbild zurück 3 . Doch dieses versöhnlich-differenzierte Elternbild stammt von jenem Fontane, der sich inzwischen aus dem Knäuel widersprüchlicher Gefühle befreit hat. Liest man die autobiographischen Werke also „gegen den Strich", so empfand er neben Groll über sozialen Abstieg und zerrüttete Elternehe vor allem die geistige Erbschaft des Vaters und Angst davor, er müsse das väterliche Schicksal buchstäblich wiederholen, obwohl sein Ansehen, seine Erfolge und seine intakte Ehe 4 dagegen sprachen.
Literaturpsychologisch ist es höchst lehrreich, wie Fontane den Spielbegriff benutzte, um sich mit dem Vater einerseits zu identifizieren andererseits sich von ihm zu distanzieren. Dazu wurde sowohl dem väterlichen Spiellaster wie auch den eigenen Kinderspielen viel Platz in den Kindheitserinnerungen eingeräumt.
Kartenspiel, wie's auch Kinder spielen, war mir immer höchst langweilig, wogegen ich all das, was ich meine Spiele nannte, mit einer Lust und Leidenschaft spielte, die weit über die Kartenspiellust meines Vaters hinausging. 5 Philosophisch betrachtet ging Fontane zwar instinktiv, intuitiv, doch nichtsdestoweniger zweckmäßig und ökonomisch vor, denn die Wahl der Spielerpsychologie als begrifflicher Drehpunkt erlaubt ihm positive wie negative Vergleiche, Erklärungen für Unterschiede wie für Ähnlichkeiten und zwar mittels eines leicht verständlichen, anschaulichen Sprachfeldes. Obwohl schon die Psychoanalytiker mehrfach auf das Thema Kinderspiel hinwiesen, war es erst die transaktionsanalytische Richtung, die die zentrale Wichtigkeit der Einstellung zum Spiel für die Persönlichkeitsbildung
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