und Lebensführung des einzelnen erkannte. In der Terminologie der Transaktionsanalyse 6 stellt Fontane sich selber als Gewinner dar im Gegensatz zum Verlierertyp des Vaters. Auch die schlimmsten Konflikte zwischen den Eltern werden auf Louis Henri Fontanes Verlierereigenschaften zurückgeführt. Nach Fontanes Darstellung zu urteilen, vermochte der Vater nicht zu erkennen, was er für einen Eindruck auf andere machte, wenn er mit Besserwissereien gesellschaftlich aufzutrumpfen versuchte, und daher auch nicht, wann er Niederlagen erfahren hatte oder welche Konsequenzen daraus zu ziehen seien; kurz, er wußte nicht, wann er das Spiel abbrechen mußte oder konnte es einfach nicht.
Am Ende des 10. Kapitels wird illustriert, wie des Vaters krankhaftes Selbstbestätigungsspiel nicht einmal dann aufhörte, als die anderen ihn in die Lage brachten, den guten Ruf seiner Frau anscheinend zu kompromittieren, eine Szene, die er seiner Frau gegenüber sogar als kleinen Triumph darzustellen versuchte:
.... nu ja, vielleicht hätt ich anders antworten sollen, denn sie wollten mich vor dir in Verlegenheit bringen. Aber es ist ihnen nicht gelungen."
.Leider nicht. Und das ist das Schlimmste von der Sache." 7 Dieser zwanghafte Egoismus des sonst so geselligen Vaters zeigt sich wenige Seiten danach bei der Erzählung einer gefährlichen Heimfahrt von Mutter und Kindern in einem heftigen Nachtgewitter. Trotz des Sturmes erhob er sich vom Spieltisch nicht einmal zur Begrüßung, sondern spielte ruhig weiter, als ob er weder daran gedacht hätte, sie könnten in Gefahr sein, noch darüber Freude empfände, daß sie heil angekommen waren.
Ein greller Schein leuchtete durch die Ritze der Fensterladen, und mir war, als müsse der Blitz zwischen die Spieler fahren. Das Wetter war schon im Schwinden, und ich ging in meine Kammer, wo meine Geschwister bereits schliefen. Was eine halbe Stunde später drüben auf der andern Seite des Flurs zur Sprache kam, lag mir zum Glück außer Hörweite. 8
Leichter, indirekter als hier kann man kaum zugeben, daß man seinem Vater Gottes Bestrafung gewünscht hat. Auch die Bildersprache des Spaltens versinnbildlicht die Auswirkungen auf die Seele des Kindes, markiert die Spaltung seines Ich-Ideals, während die vorangehende Stelle zeigt, daß der Vater durch selbsttäuschende Rechthaberei seinen Anspruch auf Respekt untergraben hatte. Selbst die vielen positiven Erinnerungen, wie der Vater ihm berühmte Zwischenfälle aus den Napoleonischen Kriegen beibrachte, oder gar die Erkenntnis, daß der Vater ihn meistens nur dann und widerwillig gezüchtigt, wenn es die Mutter von dem vergnügt Heimkehrenden — also im angetrunkenen Zustand — verlangt hatte, können den Eindruck nicht wegverklären, daß Fontane vom väterlichen Vorbild sehr lange eher abgestoßen als angezogen wurde.
Wohl wegen dieses und anderer angedeuteter Sachverhalte hat das Leserpublikum das versöhnliche Altersbild des Vaters im 16. Kapitel den eigentlichen, aber auch erbarmungslosen Kindheitserinnerungen vorgezogen. Gerade der chronologische Bruch macht es einem leicht, das verklärte Bild von dem zu trennen, was der Verklärung bedurfte. Umgekehrt muß bei Unkenntnis der dahinterstehenden Kritik das verklärte, versöhnliche Bild unverständlich oder gar seicht - wegen der Detaillierung sogar barock — wirken, denn diese bauen auf jener Kritik auf, weshalb sie jetzt herauszuarbeiten ist.
Im 16. Kapitel der „Kinderjahre", in der Erinnerung an die letzte Begegnung im Sommer 1867 zieht Louis Henri eine letzte Bilanz. Inzwischen hatte er schon zwanzig Jahre von seiner Frau zwar getrennt, jedoch nicht geschieden gelebt. Anders als
122