Heft 
(1990) 50
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sein Sohn konnte er auf kein erfolgreiches Leben zurückblicken, sondern mußte sich eingestehen, eine gute Ausgangslage konsequent heruntergewirtschaftet zu haben. Nach seiner Darstellung sei es aber nicht dasewige Jeu", sondern die jugendliche Unschuld, eine zu frühe Heirat, die ihm das Genick gebrochen habe. Wenige Monate nach dieser Unterredung, am 5. Oktober, verstarb er,

und oben auf dem Bergrücken, da, wo wir vonPoseidons Fichtenhain" ge­scherzt hatten, ruht er nun aus von Lebens Lust und Müh. 9

Wie es Fontanes Versteckspiel gebietet, gehen wir davon aus, daß der erwähnte Scherz mit Bezug auf SchillersKraniche des Ibykus" eigentlich keiner auf der symbolischen Ebene war und blättern für Erklärungen nicht vor-, sondern rückwärts zu dem ebenfalls erwähnten, gemeinsamen Spaziergang auf dem Bergrücken, wo gescherzt wurde. Im folgenden längeren Zitat beachte man, wie der Dichter die Landschaft derart manipuliert, daß Ibykus' schicksalhafter Spaziergang evoziert wird, während gleichzeitig auch ein Friedhofsbesuch angedeutet und auf Poseidons bekannte Attribute angespielt wird. Darin kommen ein paar namenlose Arbeiter vor, die die Plätze von Ibykus' Mördern übernehmen. Als wäre dies alles nicht genug zu deuten, werden dem Vater Wörter in den Mund gelegt, die das antike Bild von Charon und seinem Kahn suggerieren, also von der Reise der Seelen über den Fluß des Vergessens, Lethe, ins Totenreich.

Und nun nahm er mich unterm Arm und ging mit mir auf eine mitten im Hofzaun angebrachte Gittertür zu, hinter der ein schmaler Zickzackweg den Sandberg hinaufführte. Links und rechts waren tiefe Löcher gegraben, in denen Feldsteine von beträchtlicher Größe mit ihrer Oberhälfte sichtbar wurden.

Läßt du die ausgraben, Papa?"

Versteht sich, das ist jetzt die Haupteinnahme von mir; ich kümmere mich dabei um nichts, ich gebe bloß die Erlaubnis, und dann kommen die Kerls und buddeln solchen Stein aus, das heißt viele Steine, und schaffen sie dann in ihren Kahn, und ich kriege mein Geld. Gott segne den Chausseebau. Daß das Geld im Boden liegt, ist doch wahr, und wenn auch weiter nichts dabei herauskommt als eine Ladung Steine."

Dabei waren wir den Zickzackweg hinaus und traten in den schon mehr­erwähnten Fichtenwald ein, der den ganzen Bergrücken, eigentlich schon ein Plateau, überdeckte. Ein Säuseln ging durch die Kronen, und ich sagte, wäh­rend ich in die Höh blickte, so vor mich hin:Und in Poseidons Fichtenhain Tritt er mit frommem Schauder ein."

Er klopfte mich sofort zärtlich auf die Schulter, weil er herausfand, daß ich die zwei Zeilen bloß ihm zuliebe zitierte.Ja, das war immer meine Lieblingsstelle. [...] Aber ,Die Kraniche des Ibykus' habe ich doch damals schon gelernt und ist mir auch sitzen geblieben. Es muß so was drin sein." 10 ImZickzackweg" verstecken sich die Zacken von Poseidons Speer; in denFichten" se ineKrone" über dem Bergrücken, der auf einmal ein Plateau sein soll, flach wie das Meer, Poseidons Element. Auch dasAusbuddeln" von Feldsteinen, die wie Grabsteine beschrieben werden, deutet die dichterische Aufarbeitung des Vater-Sohn- Verhältnisses an, dessen komplexe Auswirkungen wenige Zeit vor der Niederschrift im Frühling 1892 zu einer physischen und psychischen Krise 11 wie auch zu aber­gläubischen Vorstellungen geführt hatte, er müsse sterben, weil sein Vater im selben Alter gestorben sei. Würde Schillers Gedicht hier ohne die manipulativen Eingriffe 12 Fontanes beliehen, so wäre die Gefahr vom Vater her als real einzuschätzen; aber Fontanes Spiel damit deutet die Symbolik dahingehend um, daß der Vater zwar

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