Terminus „Opus-Phantasie" vorgeschlagen 14 . Er zeigt auf, wie literarische Vorbilder auf die eigene Kreativität des Dichters befreiend wirken können, obwohl das von Matt angeführte Beispiel 15 weitaus undurchsichtiger ist als das vorliegende. Dank der Naivität des jungen Fontane, der sich mit einem Quellenhinweis emotionell absichern konnte, der noch wenig Bedürfnis nach Verschlüsselung empfand und das Talent dazu noch nicht sehr weit entwickelt hatte 16 , können wir anhand des später so kunstvoll Versteckten dem jungen Fontane so direkt in die Seele blicken, daß die angebliche Nachdichtung als durchsichtige Maske vor jenem Vaterbild entlarvt wird, das sonst mit der des antiken Meeresgottes Poseidon benannt wurde.
„Das Gespensterschiff" erzählt von einem wegen seines gotteslästerlichen Frevels zu einer Art „fliegendem Holländer" verdammten Kapitän namens Vanderdecken. Die Möglichkeit zu seiner Erlösung wird dadurch gegeben, daß er als Gespenst bei seiner Frau am Kindesbett erscheint und ihr einen Talismann zurückgibt, mit dem ihn eines Tages der schlafende, neugeborene Sohn wird erlösen können. Daß Fontane dieses Gedicht eigentlich nie vergessen hatte und daß er mit Vanderdecken tatsächlich den eigenen Vater meinte, ließ er durchblicken, als er den gehörnten, älteren Ehemann in „L'Adultera", der wie sein Vater die Zunge einfach nicht beherrschen konnte, Vander straaten nannte. Der Frevel des Gespensterkapitäns besteht aber in einem Spruch, den er beim verwegenen Versuch getan hatte, bei Sturm ums Kaphorn zu segeln:
Ich schwör's beim heiligen Kreuzesspan,
Der meines Weibes Talisman,
Ich will ums Kap und weiche nicht.
Und kämpft ich bis zum Weltgericht . 17
In der Wiederholung ein paar Strophen weiter heißt es sogar, „Und kämpft' ich bis zum Jüngsten Tag." Dadurch wird aber noch ein für Fontane zentraler Bezug geknüpft und zwar mittels der gleichen biblischen Anspielung zu jener inneren Stimme, die ihn als Jungen beim totalen Versteckspiel angesprochen hatte mit den Worten, »Und wenn sie dich suchen bis an den Jüngsten Tag, sie finden dich nicht ." 18
Obwohl zwischen beiden Stellen etwa zweiundfünfzig Jahre liegen, weil die eine Ausdruck jener jugendlichen Naivität ist, die die andere möglichst unmittelbar - wenn auch in der Reflexion — charakterisieren will, legen wir sie wie zwei Dia- aufnahmen derselben seelischen Landschaft übereinander und suchen die Gemeinsamkeiten und Differenzen unter ihnen. Zusammenfassend könnte man sagen, die Kombination der beiden Stellen ergibt u. a. eine Vorstellung von Fontanes Dichter- chrgeiz als Wagnis und Frevel, als Erbfluch, der als Mißbrauch des Glaubens der Frau an ihren Mann konkretisiert wird. Diese Interpretation ergibt sich aus folgenden Überlegungen.
Die Formel vom Weltgericht, dem „Jüngsten Tag", stammt aus der Johannes Offenbarung und ist in das christliche Glaubensbekenntnis aufgenommen worden. Sie prophezeit ein Gottesgericht am Ende der Zeitrechnung, wo ein jeder für seine Sünden wird geradestehen müssen. In Fontanes Jugendballade wie auch in seinen Kindheitserinnerungen charakterisiert die Berufung auf diese Formel ein Selbstverständnis und einen Egoismus, der sich über eine widersprüchliche Realität hinwegsetzt. Doch welch ein Unterschied in der Konsequenz! Während Vanderdecken sich rücksichtslos über die Belange des Lebens hinwegsetzt, um seinen Kopf durchzusetzen, bekennt sich der Dichter damit zum heimlichen Ehrgeiz, unsterblich zu werden. Es geht hier also um die eigentlichen Glaubensartikel, die sich existentiell offenbaren. Weil Fontane sich dabei der traditionellen christlichen Symbolik bedient - was er selten tut —, weist er sich allem Anschein nach als gläubiger Christ aus.
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