Heft 
(1990) 50
Seite
126
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Darüber wäre weiter nachzudenken, aber es wäre verfehlt, dieses versteckte Be­kenntnis an irgendwelchen Dogmen messen zu wollen. Er ist hier wohl sein eigener Theologe gewesen, was schon Lepel und dessen Familie an dem jungen Fontane bemängelt hatten.

Legen wir die christliche Symbolik nicht theologisch, sondern am konkreten Inhalt der Ballade wie der Autobiographie aus, so ist für Vanderdecken die Familie das .Kreuz", das er zu tragen hat. Weil dieses Kreuz auch Talisman, also Andachts­gegenstand der Frau ist, bedeutet es ihren Glauben an ihn. Daß der Kapitän als Gespenst zu ihr zurückkehrt, um ihr das Kreuz zurückzugeben, bedeutet einerseits Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit, aber auch die Hoffnung, die Übertragung desselben Glaubens und Vertrauens auf das Kind. Die Vorstellung, daß der Sohn mit demselben Kreuz sich selbst und den Vater erlösen wird, zeugt von einem großen inneren Druck, der hinter Fontanes jungem Dichterehrgeiz steckte. Die Wiederkehr dieser Formel nach fünfzig Jahren als Gipfel des Künstlerbekenntnisses, nicht ge­brüllt, sondern eher gebetet, chronologisch sogar noch vor der Jugendballade zurück­datiert, jedoch offenbar auf das Weiterleben der eigenen Kunst gerichtet, gewinnt beim Vergleich mit der quälenden Vorstellung der Jugend geradezu heimlich­triumphale Bedeutung, als ob er sagen wollte, jedoch ohne die Gefahr der Hybris heraufzubeschwören, »Ich hab's geschafft; was er nur wollte und nicht konnte: mich durchgesetzt und trotzdem das in mich gesetzte Vertrauen voll erfüllt." Der rohe Ehrgeiz war zwar Wagnis und Frevel, aber die Verwirklichung ist die Erlösung. Wie heißt es doch, .Erst der Ernst macht den Mann./ Erst der Fleiß das Genie"?

Im weiteren Verlauf der Ballade wird auch noch rein rechnerisch und absolut zufällig belegt, wie die Frage des Todesalters in Fontanes Vererbungskomplex ein­spielt. Dieserdie Erlösung" überschriebene dritte Teil beginnt so:

Wohl siebzig Jahre schwanden schon.

Ein Greis ist Vanderdeckens Sohn,

Der, auf der Brust ein Talisman,

Durchkreuzt den weiten Ozean.

Natürlich kommt es auf hoher See endlich zur Begegnung mit dem väterlichen Gespensterschiff, währenddessen der Vater dadurch vom Fluch befreit wird, daß er den Talisman der Mutter küßt.

Inbrünstig preßt der Vater dann An seinen Mund den Talisman,

Und als der dreimal ihn geküßt.

Das Schiff zur Tiefe niederschießt.

Und Arm in Arm, und Brust an Brust,

Im Auge heiße Todeslust,

Steigt in das kühle Wassergrab Der Vater mit dem Sohn hinab.

Also stirbt der Sohn Anfang siebzig und zwar gleichzeitig mit der Erlösung des bereits zum Gespenst gewordenen also toten Vaters. Natürlich geht es hier nicht um Dichtung als Hellseherei, aber der unvorhersehbare Umstand, daß Louis Henri tat­sächlich mit 71 1/2 Jahren verstarb, mußte den Komplex des Sohnes wegen des Zufalls des gleichen Lebensalters verstärkt hervortreten lassen.

Bei objektiven Sachverhalten gilt Zufälligkeit als unvereinbar mit echter Kau­salität; bei subjektiven und auf Einzelpersonen bezogenen kann der Zufall noch wirksamer sein als die konkreteste Notwendigkeit. Sollten aber noch Zweifel be­stehen, daß wir es in dieser angeblichen Nachdichtung mit Fontanes seelischem