Heft 
(1990) 50
Seite
127
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Selbstbildnis zu tun haben, so müßte gerade der Umstand überzeugen, daßDas Gespensterschiff" in diesem Punkt nicht alleine, sondern der ErsterzählungGe­schwisterliebe" zur Seite steht. Dort geht es um ein Bruder-Schwester-Schwager- Dreieck, das abgesehen von handfesten autobiographischen Bezügen zu Neu­ruppin, Verarmung und Abstieg, Apothekerberuf u. d. m. eigentlich das Verhältnis der beiden Männer vis-à-vis der Frau thematisiert, die auf ihrem Sterbebettge­spensterschiff liehe" Töne den beiden abverlangt:

Reicht euch die Hände, lebt friedlich miteinander, seid so innige Freunde, wie sie nur gemeinschaftliches Unglück zu schaffen vermag, und gedenkt mei­ner als eurer beiderseitigen Geliebten, deren Tod es war, sich unter euch nicht teilen zu können; das ist mein letzter Wunsch, die Bitte einer Ster­benden."

Wir sind es auf ewig!" riefen beide wie aus einem Munde. Hand in Hand, Brust an Brust, vergaß Rudolph in diesem Augenblicke seine Schwüre, deren Erfüllung ihn für immer von seinem Nebenbuhler getrennt haben würde. 19

Entscheidend ist aber vor allem der gleichzeitige Tod beider Männer, der als eine Art Abendmahl formuliert wird:

Die Beklagenswerten endeten, nachdem sie von fremden Händen kümmerlich gepflegt, den Leidenskelch bis auf den Grund geleert hatten. Nur den letzten Tropfen durften sie nicht genießen, da keiner den andern überlebte. .. .

Dort oben haben sie endlich die stets und treu Geliebte wiedergefunden, ihr heißes Sehnen gestillt und jeden Trennungsschmerz in der seligen Ver­einigung mit ihrem Clärchen vergessen. 20

Den Abstand von 150 Jahren brauchen wir nicht, um zu begreifen, daß der junge Fontane der Nachdichtungsfiktion desGespensterschiffes" bedurfte, um sein An­liegen in erträgliche Verse umsetzen zu können. Auch er war der Meinung, er habe die Lyrik viel früher als die Prosadichtung beherrscht.

So gründlich hat die peinlich berührende Erstlingsgeschichte von jedem Vergleich mit dem späten Fontane abgeschreckt, daß der Versuch m. W. nie unternommen wurde. Demgegenüber konnte der Vergleich zwischen demGespensterschiff" und der Symbolik desautobiographischen Romans" zur Formulierung von brauchbaren Hypothesen führen, deren Glaubwürdigkeit jedoch erst durch die Heranziehung des der Ballade zeitgenössischen Prosastückes handfest untermauert wurde. Die offen­sichtlichen Parallelitäten zwischenGespensterschiff" undGeschwisterliebe" - dür­fen wir in den ähnlich klingenden Überschriften schon das Bewußtsein des Zusam­menhangs feststellen? machen es möglich, jene Hypothesen weiter auszubauen.

Betrachtet man aus psychologischer Sicht vor allem die Personenkonstellation, so fällt auf, daß das Dreieck nicht nur nahezu jede andere Rolle verdrängt, sondern auch mit wenig, jedoch bedeutendem Unterschied zusammengestellt ist. Jedesmal geht es um das Verhältnis zweier Männer gegenüber derselben Frau, die ihrerseits auf passives Leiden beschränkt bleibt, d. h es geht im Grunde genommen um die beiden Männer vis-ä-vis der Frau-an-sich, um eine im wörtlichen Sinne pater- nalistische Konstellation. Komplexe entwickeln die Männer einander gegenüber Wegen der Frau. Die Liebe zur Mutter bleibt unausgesprochen, obwohl sie genauso bestimmend ist wie die wortreich beschriebene zur Schwester/Geliebten; in beiden Fällen überwiegt aber die Schuld der Männer ihr gegenüber. Die autobiographischen Anspielungen, aber noch mehr dieses Dreieck, legen es nahe, nach den klassisch odipalen Merkmalen Ausschau zu halten, von denen die Eifersucht meistens das