ausschlaggebende ist. Diese kommt jedoch nur in der Erzählung zum Tragen, wobei sie die Geschichte allein bestimmt, sei es im rachsüchtigen Verhalten Rudolphs, sei es in der Überwindung durch die Männerfreundschaft mit dem .Prediger". Ein doktrinärer Freudianer könnte da geneigt sein, im Vater-Sohn-Verhältnis der Ballade ein Werben des Dichters um die Mutter zu erkennen, doch einen wesentlich einfacheren Grund zur Wahl der Eifersucht als Handlungsmotor der Prosageschichte weiß da der Fontane-Biograph zu nennen.
„Geschwisterliebe" erschien Ende 1839; „das Gespensterschiff" im Oktober 1840; dazwischen heiratete im April 1840 Fontanes Jugendliebe, Minna Krause, an ihrem 19. Geburtstag den Sohn seines Schulrektors von Kloeden 21 . Die veröffentlichten — und erst recht ein paar unveröffentlichte 23 — Jugendgedichte an und über Minna machen klar, daß es für Fontane eine von Eifersuchtsvorstellungen gequälte Zeit war. Zwar hinterließ er anscheinend keine Beichte darüber, aber dem, der ihnen nachempfinden kann, sprechen sie Bände, denn Fontane formulierte seine Qualen nicht, sondern verdichtete sie. So ist seine Autobiographie wie sein Werk zu behandeln: bloß weil er über das Große in seinem Gefühlsleben schnell hinweggeht, darf man es nicht geringschätzen, im Gegenteil. Doch zu all dem bleibt „Geschwisterliebe" die große Ausnahme; gerade das Peinliche an der Geschichte rührt erfahrungsgemäß daher, daß der Stoff emotionell noch unverdaute Erfahrung ist, und da diese nur leicht verhüllt wird, kommt der Interpret ohne das übliche Kombinieren und Enträtseln aus.
Anders als Minnas Bräutigam ist Claras Freier kein Junglehrer, aber Kanzeln gibt es in der Kirche wie in der Schule; als Schauplätze für die Geschichte kommen die wirklichen Orte, Berlin und Swinemünde nicht in Frage. Also weicht der Autor auf Ruppin aus, das nicht nur sein Geburtsort ist, sondern auch Standort des Gymnasiums, das er zusammen mit Minnas Bruder eine zeitlang besucht hat. Auch das Band, das Clara und Rudolph bindet — die schöne Literatur — war das Mittel, womit der junge Dichter um die Patriziertochter warb. Wenn wir nun trotzdem eine Linie zwischen Minna und Mutter ziehen, wie es Erzählungs- und Balladendreieck nahelegen, so auch deswegen, weil Fontanes Mutter seine Gedichte von Anfang an sorgfältig gesammelt hat — auch die an Minna. Darum kann man mit einigem Recht davon ausgehen, daß sie auch den Ehrgeiz, die Minna wirklich zu gewinnen, ausdrücklich unterstützt hat — wußte sie doch, daß er wirklich nichts unversucht lassen durfte und daß sich die Krauses als Kunstmäzene verstanden,- wie das Einflüstern der Frau von Briest oder Jenny Treibeis Überzeugung, daß Gedichteschreiben zum (gesellschaftlich) „Höheren" gehörte.
Das Verhältnis Sohn-Vater kann aber wesentlich tiefer bestimmt werden. Während die mutterbezogenen Gefühle die der Schwäche, der Hilflosigkeit und des Versagens gewesen sind, die in der Blindheit und Abhängigkeit Rudolphs wiederkehren, so drückt sich in der jungen Vorstellung vom gleichzeitigen Sterben des Sohnes mit dem Vater sehr viel Liebe und Identifikation aus. Da die Mutter anscheinend alles auf Respekt und Charakter setzte, während der Vater ein für damals alles andere als selbstverständlich freundschaftliches Verhältnis zum Sohn pflegte, entwickelte sich Fontane nicht nach dem üblichen Muster. Aus dem Widerspruch zwischen der tiefen Liebe zum Vater und dem vorwiegenden Bewußtsein des Schuldigwerdens gegenüber der Mutter bzw. der Frau entwickelte sich sein Vererbungskomplex. Darum scheint die allgewaltige Eifersucht in „Geschwisterliebe" bei der Rückführung des emotionellen Anliegens auf die Familienkonstellation im „Gespensterschiff'' ganz zu verschwinden. Aus diesem Grunde bringt uns die klassisch ödipale Auslegung von Fontanes Komplexen nicht weiter. Dagegen sprechen erstens Fontanes ungewöhn-