Heft 
(1990) 50
Seite
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Freilich wußte Fontane, daß er sich dabei etwas vormachte; darum verniedlichte er die großväterlichen Erfolge, als er berichtete, der Großvater habe esmit Hülfe dreier, in guten Abständen geheirateter Frauen, erst vom Zeichenlehrer zum Kabi­nettssekretär und ganz zuletzt, was noch wichtiger, sogar zum gutsituierten Berliner Hausbesitzer gebracht [...), freilich nur in der Kleinen Hamburger Straße." 28 Der wirkliche Großvater war eine Ernüchterung, aber die Reise zu ihm hatte Ewigkeits­wert, bedeutete Anschluß an eine höhere Tradition, an Träume, die in Erfüllung gehen. Aber wie eigenartig: er geht hier gar nicht darauf ein, wem der Groß­vater das Zeichnen beigebracht hatte, oder wer dessen Gönnerin gewesen war. Gerade an diesem Verschweigen der Hauptsache sollten wir die große Bedeutung erkennen, die diese Beziehung für ihn hatte.

Darum wird auch der OrtsnameCremmen" inDer Stechlin" zum Schnittpunkt für allerhand bedeutende Hinweise, ähnlich wie im Zusammenhang mitBrüssel" oben beobachtet wurde. Einkreisend können wir feststellen, daß Cremmen gleich­bedeutend ist für denhalben Weg". Wohin? Doch nicht allein zum Großvater Fontane, sondern zu dem, was der Großvater darstellt, zu dem, was der Enkel mit jener Nachtreise assoziierte, also mit dem halben Weg zur Ewigkeit, zur Unsterb­lichkeit. Darum kann es auch nicht von ungefähr kommen, daß Woldemar, Rex, Czako und Reitknecht Fritz morgens aufbrechend von Cremmen her in das erstarrte Bild des Stechlin hineinreiten, das von der Symbolik der Todesruhe, von vergange­nem Glanz und gegenwärtiger Bewegungslosigkeit beherrscht ist. In der Fontane- schenTheologie"sind" sie die vier apokalyptischen Reiter, oder, wie es der Maler­professor Cujacius später verraten wird, nur dieKohleskizzen", der Umriß davon, erst schwarze Schatten auf weißem Papier. In der Johannes Offenbarung werden die vier Pferde mit je einer symbolischen Farbe gekennzeichnet, mit Weiß, Rot, Schwarz undfahl",leichenfarben". Auf dem Ritt hält sich Reitknecht Fritz geziemend hinter den Offizieren zurück, so daß sie wie ein Kommentar zu Dubslavs Weigerung wirken, die altpreußische durch die Reichsfahne ersetzen zu lassen, oder umgekehrt:

Engelke hatte vor kurzem einen roten Streifen annähen wollen, war aber mit seinem Vorschlag nicht durchgedrungen.Laß. Ich bin nicht dafür. Das alte Schwarz und Weiß hält gerade noch; aber wenn du was rotes dran nähst, dann reißt es gewiß." 29

Indem Fontane die Symbolik vom Jüngsten Tag und Weltgericht hineinschmuggelt, knüpft er einen versteckten Faden zu den Kindheitserinnerungen und zu der ihn selbst erlösenden Aussöhnung mit dem Vater. Weil er die eigenen Komplexe über­wunden hat, kann er sich im letzten Roman direkt und ausschließlich mit den Komplexen seines geliebten Vaterlandes auseinandersetzen.

Anmerkungen

1 Dieses wichtige Detail ist durch den Sohn, Friedrich Fontane überliefert worden inDas literarische Echo", 9/10, Februar 1925.

2 Von und über Mauron gibt es in deutscher Sprache sehr wenig, wobei seine Psychokritik von schlagender Einfachheit ist. Unverkennbar ist ihr Einfluß auf PaulsensIm Banne der Melusine. Theodor Fontane und sein Werk". - Bern: Peter Lang, 1988, 314 Seiten, der den ersten ernstzunehmenden Versuch psychologischer Fontane-Biographie darstellt, d. h sich um die innere Kohärenz von Fontanes in der Kunst sich offenbarender Persönlichkeit bemüht. Obwohl man