Die Lokalmeldungen der „Kreuzzeitung" waren üblicherweise „unterm Strich", im „Berliner Zuschauer", versammelt, einer in der örtlichen Presselandschaft berüchtigten Institution, die ihren Ruf vor allem dem vorerwähnten Hermann Goedsche verdankte, einem am äußersten Rand des politischen und stilistischen Extremismus operierenden Journalisten und Romanschreibers, der die Rubrik bis 1874 hauptamtlich redigierte. 3 Fontane scheint sich als Zuarbeiter Goedsches eher zurückgehalten zu haben; so legen es zumindest einige Briefstellen nahe, aus denen wenig Sympathie für die selbstgerecht polemisierenden, dabei von Stilblüten reichlich durchsetzten Kommentare des Lokalteils spricht. 4 Andererseits war der „Zuschauer" offenbar von einer solchen publizistischen Wirksamkeit, daß auch Fontane der Verlockung nicht immer widerstand. Im Zusammenhang einer Klage über die „Unaccuratesse" der Briefzustellung spricht er seiner Frau gegenüber einmal offen die Drohung aus: „Ich werde mich nächstens in unsrem ,Zuschauer’ beschweren. So gut wie eine Gurken- Notiz ist es am Ende auch noch. Hast Du meinen Brief vom Sonntag-Abend erhalten?" 5 - Zu meinem eigenen und zum Bedauern des Berliner Postmuseums, dessen Mitarbeiter mich bei der Recherche freundlicherweise unterstützt haben, blieb die Suche nach dieser Beschwerde erfolglos. Eine interessante Beobachtung ergab sich indessen in einem anderen Zusammenhang:
Bei der Abschrift des Artikels über Gustav Graef (s.u. Text V) stellte sich heraus, daß dieser nicht mit Fontanes Kürzel „Te", sondern mit der bislang mit ihm nicht in Verbindung gebrachten Chiffre ,,-n" gezeichnet ist. Solche ,,-n"- Meldungen finden sich im „Berliner Zuschauer" jedoch zuhauf; allein die Ausgabe vom 31. Dez. 1862 enthält 12 Stück, eine davon unmittelbar nach der Notiz über Graef. Da diese Notiz eindeutig von Fontane stammt (s. Anm. 53), drängte sich zunächst die Vermutung auf, Fontane habe neben dem „Te"-Kür- zel noch eine weitere Sigle verwendet, nämlich jenes ,,-n", unter dem er offenbar eine große Zahl von „Zuschauer"-Meldungen geschrieben hat. Eine gewisse Brisanz verlieh dieser Vermutung eine erste Durchsicht der Texte: Es handelt sich nämlich um genau jene „prätensiösen Hohlheiten", die Fontane in seinen Briefen so sarkastisch verurteilt und die er im „Kladderadatsch" so „meisterhaft persifliert" 6 gefunden hat: Jede noch so banale Nachricht, und sei es die bloße Kolportage von einer Rauferei im fernen Königsberg 7 , wird ausgekostet, um in einem kommentierenden Nachsatz die Überlegenheit der kirchlich-patriotischen Weitsicht der Kreuzzeitung vor Augen zu führen; bevorzugtes Objekt der Polemik ist natürlich der politische Gegner bzw. dessen Presse, deren Berichte mit einer Häme zerpflückt werden, die in Verbindung mit der stilistischen Geschraubtheit dieser „Feuilletons" in der deutschen Zeitungsgeschichte ihresgleichen sucht. 8
Fontane also ein streitbarer Mitkämpfer seiner reaktionären „Kreuzzeitungs"- Kollegen im journalistischen Kleinkrieg der 60er Jahre? Die Leserschaft darf beruhigt werden: Die ,,-n"-Notizen können nicht, zumindest nicht ausschließlich, von Fontane stammen. Eine Überprüfung der Jahrgänge 1859 und 1871 ergab, daß die betreffende Sigle auch vor bzw. nach Fontanes Zeit bei der „Kreuzzeitung" verwendet wurde. Entweder handelte es sich um eine „Gemeinschaftssigle", unter der mehrere Autoren ihre Beiträge veröffentlicht
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