Heft 
(1993) 55
Seite
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Die Lokalmeldungen derKreuzzeitung" waren üblicherweiseunterm Strich", imBerliner Zuschauer", versammelt, einer in der örtlichen Presse­landschaft berüchtigten Institution, die ihren Ruf vor allem dem vorerwähnten Hermann Goedsche verdankte, einem am äußersten Rand des politischen und stilistischen Extremismus operierenden Journalisten und Romanschreibers, der die Rubrik bis 1874 hauptamtlich redigierte. 3 Fontane scheint sich als Zuarbei­ter Goedsches eher zurückgehalten zu haben; so legen es zumindest einige Briefstellen nahe, aus denen wenig Sympathie für die selbstgerecht polemisie­renden, dabei von Stilblüten reichlich durchsetzten Kommentare des Lokalteils spricht. 4 Andererseits war derZuschauer" offenbar von einer solchen publizi­stischen Wirksamkeit, daß auch Fontane der Verlockung nicht immer wider­stand. Im Zusammenhang einer Klage über dieUnaccuratesse" der Brief­zustellung spricht er seiner Frau gegenüber einmal offen die Drohung aus:Ich werde mich nächstens in unsrem ,Zuschauer beschweren. So gut wie eine Gurken- Notiz ist es am Ende auch noch. Hast Du meinen Brief vom Sonntag-Abend erhal­ten?" 5 - Zu meinem eigenen und zum Bedauern des Berliner Postmuseums, dessen Mitarbeiter mich bei der Recherche freundlicherweise unterstützt haben, blieb die Suche nach dieser Beschwerde erfolglos. Eine interessante Beobachtung ergab sich indessen in einem anderen Zusammenhang:

Bei der Abschrift des Artikels über Gustav Graef (s.u. Text V) stellte sich her­aus, daß dieser nicht mit Fontanes KürzelTe", sondern mit der bislang mit ihm nicht in Verbindung gebrachten Chiffre ,,-n" gezeichnet ist. Solche ,,-n"- Meldungen finden sich imBerliner Zuschauer" jedoch zuhauf; allein die Aus­gabe vom 31. Dez. 1862 enthält 12 Stück, eine davon unmittelbar nach der Notiz über Graef. Da diese Notiz eindeutig von Fontane stammt (s. Anm. 53), drängte sich zunächst die Vermutung auf, Fontane habe neben demTe"-Kür- zel noch eine weitere Sigle verwendet, nämlich jenes ,,-n", unter dem er offen­bar eine große Zahl vonZuschauer"-Meldungen geschrieben hat. Eine gewis­se Brisanz verlieh dieser Vermutung eine erste Durchsicht der Texte: Es handelt sich nämlich um genau jeneprätensiösen Hohlheiten", die Fontane in seinen Briefen so sarkastisch verurteilt und die er imKladderadatsch" someisterhaft persifliert" 6 gefunden hat: Jede noch so banale Nachricht, und sei es die bloße Kolportage von einer Rauferei im fernen Königsberg 7 , wird ausgekostet, um in einem kommentierenden Nachsatz die Überlegenheit der kirchlich-patrioti­schen Weitsicht der Kreuzzeitung vor Augen zu führen; bevorzugtes Objekt der Polemik ist natürlich der politische Gegner bzw. dessen Presse, deren Be­richte mit einer Häme zerpflückt werden, die in Verbindung mit der stilisti­schen Geschraubtheit dieserFeuilletons" in der deutschen Zeitungsgeschichte ihresgleichen sucht. 8

Fontane also ein streitbarer Mitkämpfer seiner reaktionärenKreuzzeitungs"- Kollegen im journalistischen Kleinkrieg der 60er Jahre? Die Leserschaft darf beruhigt werden: Die ,,-n"-Notizen können nicht, zumindest nicht ausschließ­lich, von Fontane stammen. Eine Überprüfung der Jahrgänge 1859 und 1871 ergab, daß die betreffende Sigle auch vor bzw. nach Fontanes Zeit bei der Kreuzzeitung" verwendet wurde. Entweder handelte es sich um eine Gemeinschaftssigle", unter der mehrere Autoren ihre Beiträge veröffentlicht

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