Heft 
(1993) 55
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für Fontane zentrales, mehrfach abgewandeltes Motiv. In dem Gedicht Der Wenersee hat er fast 50 Jahre vor der Niederschrift des Stechlin von einem Gewässer berichtet, das seine Grenzen sprengt, um sich mit dem Meere zu ver­einigen 12 , und der Titelheldin des Romanfragments Oceane von Parceval sind die Worte in den Mund gelegt:Alles an und in uns ist Theil vom Ganzen und dieser Theil will ins Ganze zurück (...), wenn wir Gottes Kinder sind, Ausströmungen seiner Herrlichkeit, so drängt alles nach Wiedervereinigung mit ihm."3 1 Fontanes Andeutungsstil ermöglicht nicht selten viel deutige Bezüge auf mehreren Sinnebenen. Charlotte Jolles hat, um das Schwebende dieses Stils zu kennzeichnen, den Stechlin mit Anspielung auf Thomas MannFontanes Zau­bersee'' genannt. 14 Was Woldemar von Stechlin über den See ins Tagebuch schreibt, läßt jedoch seine Gedanken klar erkennen. Er ist gut erzogen, beson­nen und liebenswürdig, kein Mann der Vieldeutigkeiten. Seine Meinung, wenn er zu einer solchen gelangt, zeigt klare Konturen. Bei demgroßen Zusammen­hang der Dinge" aber, von dem Melusine so selbstverständlich spricht, handelt es sich, dies sei noch ergänzt, nicht um eine beiläufig gewählte Formulierung. Fontane nimmt hier vielmehr einen seinen Zeitgenossen nur zu geläufigen Ausdruck auf, etwa so, wie er an anderer Stelle, scheinbar ganz plauderhaft, mit einer Prägung Nietzsches von derUmwertung aller Werte" spricht. Das Wort vom Zusammenhang der Dinge ist durch Christian Wolff, also durch die Philosophie der Aufklärung, in den deutschen Sprachschatz eingegangen. Im 19. Jahrhundert wurde daraus ein Glaubenssatz mechanistischer Denkweise auch in der Naturwissenschaft. In Raabes 1881/82 entstandener Erzählung Prinzessin Fisch wird daher vomZusammenhang der Dinge", vomganz natürlichen Zusammenhang der Dinge" und so fort bereits in deutlich parodi- stischer Absicht gesprochen. Es ist deralles bindende" Autodidakt Bruseber- ger, der ständig von solchem Zusammenhang redet. Die von Raabe hier geübte Kritik an einer falschen Bildung (Bildung hilft über alles hinweg",möglich ist einem Menschen mit Bildung alles",mit Bildung wartet man alles ruhig ab") könnte auch von Fontane stammen 15 , dergroße Zusammenhang der Dinge" aber hat in Melusinens Mund keinen erkennbar parodistischen Zug. Fontane hat sich nur, bewußt oder unbewußt, anregen lassen, so wie er in Gutzkows Roman Die Ritter vom Geist, den er gekannt haben dürfte, auf einen See am St. Gotthard-Paß aufmerksam werden konnte, der eine ähnliche Rolle spielt wie der Stechlin-See. Nicht auf kausale Gesetzmäßigkeiten zielt Melusi­nens Bemerkung (obwohl es nicht falsch wäre, auch an solche zu denken), son­dern auf Wahrnehmung und Teilhabe am Ganzen des Lebens, deren auch der begrenzte Einzelne bedarf.

Weniger eindeutig liegt es mit einem anderen, ebenfalls häufig zitierten Satz Fontanes, der mit dem über Themse und Stechlin eine gewisse Ähnlichkeit auf­weist. Im Erinnerungswerk Von Zwanzig bis Dreißig schreibt der anglophile Märker über Theodor Storm:Er war für den Husumer Deich, ich war für die London-Brücke."' 6 Ähnlich wie im Stechlin die Themse, steht hier die London- Brücke für die Metropole, für die Welt. Der Husumer Deich vertritt dagegen ähnlich dem Stechlin-See die Peripherie, die Region oder Provinz - mit dem bemerkenswerten Unterschied allerdings, daß die Besonderheit des Sees ja gerade darin besteht, daß er zu dem, was die Welt draußen bewegt, eine unter-

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