Goethes, der die Stadt an der Moldau „den kostbarsten Stein in der Mauerkrone der Erde" genannt habe und rühmt stattdessen den „Blick von der London-Brücke aus" - ein „Panorama, das vielleicht wirklich 'den kostbarsten Stein in der Mauerkrone der Erde' umschließt."' 9
Storm macht - das ist offenbar die Absicht des vorher zitierten Satzes - neben Fontane eine eher sonderlingshaft-beschränkte Figur. Seine Vorliebe für den Deich ist wohl der „lokalpatriotischen Husumerei" 20 , der „mitunter bis zum Großartigen" sich steigernden „ Provinzialsimpelei " 21 zuzuordnen, die der märkische an dem schleswig-holsteinischen Autor beklagt. Wie Fontane - der 1864 auf dem Husumer Deich spazieren gegangen sein dürfte - ausführt, zählt Storm zu den „Generalpächtern der großen Liebesweltdomäne" 11 , den „Weihekußmonopolisten" 23 und „angeblichen Unschuldserotikern" 2 4, seine unangebrachte Betulichkeit vermag sein Gegenüber, darin ganz Berliner Kind, nicht nachzuvollziehen.
Nähe und Ferne, Enge und Weite sind in den Sätzen über London, Husum und den Stechlin-See thematisiert. Der eine ist einer Romanfigur, der andere dem Ich-Erzähler der Autobiographie in den Mund gelegt, der niemand anders ist als der Autor selbst. Er erinnert sich, wählt aus und betont - ein Künstler als Wahrheitssucher.
'London-Brücke' gegen 'Husumer Deich': Insofern hier der Fontane spricht, der, wie wir wissen, als junger Mensch auf England blickte „wie die Juden in Ägypten auf Kanaan" 25 , ist die Gegenüberstellung verständlich. Auch wenn hier der Autor sich äußert, der mit dem Gesellschaftsroman im deutschen Sprachraum Ernst machte, wie kein anderer vor ihm, der Erzähler Fontane, der gesellschaftliche Geselligkeit als solche thematisiert, mag man sich die Äußerung zurechtlegen. Im „Roman der guten Gesellschaft" entlarvt die Fixierung auf lokale und beschränkte Interessen den, der ihnen ausgeliefert ist - man braucht nur an die Sammler und Regionalforscher vom Schlage des Eginhard aus dem Grunde in Cécile zu denken, um sich das zu vergegenwärtigen. Aber gibt es denn nicht auch den Autor der Wanderungen durch die Mark Brandenburg oder der Balladen auf preußische Feldherren, den Mann der (lassen wir ihn selber sprechen) d „Jagow und Lochow,/ Der Stechow und Bredow, der Quitzow un Rochow"? Er „kannte keine größeren Meriten / Als die von Schwerin und vom alten Zieten", er „fand in der Welt nichts so zu rühmen,/ Als Oppen und Groeben und Kracht und Thümen", an der Schlachten und seiner „Begeisterung Spitze/ Marschierten die Pfuels und Itzenplitze,/ Marschierten aus Uckermark, Havelland, Barnim,/ Die Ribbecks und Kattes, die Bülow und Arnim,/Marschierten die Treskows und Schlieffen und Schlieben" 26 , und „über alle" hat er geschrieben (und zwar durchaus auch im Roman).
Allerdings erzählt das Gedicht An meinem Fünfundsiebzigsten, dem diese Verse entnommen sind, auch die Geschichte einer Abwendung von den genannten Familien und der Welt, für die sie stehen. Andere als die Erwarteten, darunter Gäste „fast schon vom prähistorischen Adel”, sind zum Jubeltag gekommen, und da sich der Dichter für überzeugt halten darf, diesen ihm ursprünglich Fremden wirklich etwas bedeutet zu haben („Alle haben sie mich gelesen (...) / Und das ist die Hauptsache"), folgt auf die nurmehr rhetorische Bemerkung: „Was sollen mir da noch die Itzenplitze" die drastische Schlußwendung: „... kommen Sie, Cohn". 27