W oran sollen wir uns nun halten? Die scheinbare oder wirkliche Ambivalenz der Urteile und Äußerungen Fontanes ist schon oft erörtert worden, die spötti- sche Schlußfolgerung, daß Fontane-Interpretation einer „immer wieder glück- lich ausgehenden Ostereiersuche" gleiche („jedes brave Kind hat eines vorzu- weisen und sogar in seiner Lieblingsfarbe". )2 8, scheint so unzutreffend nicht Besonders die Aussagen des Dichters über das eigene Werk und das eigene Leben wollen kritisch-aufmerksam gelesen sein. Je größer die Erzählbegabung des Autors ist, desto größer naturgemäß auch seine Fähigkeit, Erfundenem den Anschein von Wirklichem zu geben. Je überzeugender das Werk, umso stärker die Suggestion, die von ihm ausgeht, umso schwerer zu fassen die iro- nische Distanz des Künstlers gegenüber seinem Stoff. Die diskreten Kunstmit- tel funktionieren wie eine Tarnkappe, die den Autor verbirgt, Wer Fontanes Darstellungen seines Lebens, also in erster Linie den „autobiogra phischen Roman” Meine Kinderjahre und die Sammlung „Autobiographisches" Von Zwanzig bis Dreißig einmal mit den zeitgenössischen Quellen verglichen hat, weiß, wie Schalk, Humor, Selbstironie, Selbsttäuschung und versteckte Absicht ihr legendenbildendes Spiel treiben. Und er nimmt wahr, wie es dem Dichter gelingt - so natürlich wirkt der Fluß der Erzählung -, fürs erste tatsächlich den Eindruck zu erwecken, als habe kein Umformungsprozeß stattgefunden, ob es sich nun um das literarische Debüt in Berlin und in Leipzig handelt oder um das politische Engagement in Vormärz bis hin zur Teilnahme oder Nichtteilnahme an der Märzrevolution 1848. Auch büßt die Selbsterzählung ihre Bedeu- tung nicht ein, wenn, was sich mitunter erst spät und durch Zufall ergibt, die Stilisierung erkennbar wird. Sie enthält, was dem Autor aus dem Abstand der Jahre und Jahrzehnte erzählenswert schien, und zugleich das Bild, das er von sich selbst zu zeichnen wünschte. Sein dichterischer Lebensentwurf hat unsere Vorstellung von seiner Person mitgeformt, er ist - zugespitzt gesagt - zu einem Teil seines Werkes geworden. Der Interpret kann verpflichtet sein, von der Selbstinterpretation eines Autors abzuweichen, aber er tauscht dabei nur eine Weise zu sehen mit einer anderen - und nicht selten eignet der des Autors die stärkere Lebenskraft.
Fontane war eben ein Künstler, was er schrieb, darf, mehr noch, es soll ver- zaubern. Außerdem war er, wie sein pferdekundiger Freund Lepel wußte - ein "Tunnel"-Protokoll Baron Blombergs bestätigt es nachdrücklich - ein „Durch- gänger" 29 . Wenn seine nervöse Sensibilität überfordert wurde, dann preschte er los, dann produzierte er - da war kein „heiteres Darüberstehen" - eine uneingeschränkt subjektive Erzählung. Zuweilen wieder gab sein Pegasus sich lammfromm, aber er führte etwas im Schilde. Alle genannten Vorbedingungen für die Entstehung höchst kapriziöser Texte waren gegeben, wenn Fontane von Storm sprach und von seiner Beziehung zu ihm.
Lyrik und Husumerei
Es ist schon früh moniert worden, daß diese Aufzeichnungen Storm zu sehr in eine ,/amüsante' Beleuchtung" rückten: „Sie dürften nicht so vereinzelt daste- hen, sondern nur als einleitender Teil einer der Gesamtpersönlichkeit und ihrem Wert gerecht entsprechenden Behandlung." 30 Sie stellen das Produkt
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