Heft 
(1993) 55
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sche Stoffwelt doch überwiegend anders geprägt. Der Stoffwelt nach ist der 'Preußenlob' Fontane, der Balladendichter, märkische Wanderer und Roman­cier mit dem überwiegenden Teil seines Werkes der Dichter einer Region und zwar, wie Storm, der Region seiner Herkunft. Gewiß gibt es aus seiner Feder auch die Reisewerke aus England, Schottland und Frankreich, die Balladen über englische und schottische Stoffe. Gerade die Fremde aber hatte ihn, sei­nem eigenen Zeugnis zufolge, gelehrt, nwas wir an der Heimat besitzen" 6 9 und ih zum Autor zunächst der Wanderungen, sodann der in der Mark und in Berlin angesiedelten Erzählprosa gemacht. Ein vollständiges, den Fontane-Ausgaben beigefügtes Ortsregister würde gewiß eine vierstellige Zahl märkisch-berliner Örtlichkeiten zu nennen haben; hinzukommen die fiktiven, aus dem Geist der Region und unter Benutzung realer Details erfundenen Schauplätze. Schloß Wuthenow, Hohen-Cremmen und Schloß Stechlin sind fiktive Örtlichkeiten, der Wirklichkeit so suggestiv nachgebildet, daß die Fiktion nicht selten für Wirklichkeit genommen wurde, wie etwa jener märkische Geschichtsverein beweist, der zu einem Ausflug nach Schloß Wuthenow vergeblich sich auf den Weg machte. Und wie die Örtlichkeiten, so die Vorgänge. Fontane hat unge­zählte landesgeschichtliche Begebenheiten dem Lesepublikum neu erschlossen, aber er hat solche auch historisch stimmig erfunden wie die Aktion gegen Frankfurt in Vor dem Sturm. In den Wanderungen bewegt er sich als Erzähler nicht selten bewußt im Grenzbereich von Geschichte und Fabel.70

Nicht nur das Land, sondern auch die Stadt, Berlin, dient als Schauplatz. Aller­dings nicht ohne Auslassungen, was die schnell wachsende Industriestadt anbetrifft. Umso sensibler erweist sich Fontane auch hier im Aufspüren histori­scher Gegebenheiten und in der intuitiven Erfassung des Geistes der hier lebenden Menschen. Für Conrad Wandrey, den Autor der 1919 erschienenen ersten bedeutenden Fontane-Monographie, dominiert die Bedeutung der Mark und Berlins für Fontanes Schaffen so eindeutig, daß er Erzählwerke des Dicht­ers, die nicht dort angesiedelt sind, wie etwa den in Schleswig-Holstein und Dänemark spielenden großen Eheroman Unwiederbringlich und den in und um Wien sowie am Plattensee handelnden Roman GrafPetöfy kurzerhand zuepi­schen Nebenwerken" erklärt. 71 Es ist mittlerweile unbestritten, daß eine solche Klassifizierung den spezifischen Qualitäten dieser Romane nicht gerecht wird. Gleichwohl findet Fontanes epische Welt ihren Kernbereich im berlinisch-mär­kischen Raum und erscheint unter solchem Aspekt nicht grundsätzlich anders geprägt als die Erzählwelten Storms, Kellers oder anderer poetischer Realisten. «Regionalität kann als ein Grundzug der deutschen Literatur des bürgerlichen Realismus bezeichnet werden." So Norbert Mecklenburg, der in seinem 1982 erschienenen BuchErzählte Provinz. Regionalismus und Moderne im Roman" eine Anzahl von ästhetisch-literarischen und geschichtlich-gesellschaftlichen Faktoren benannt hat, die diesen Befund begründen. 72 Er umschreibt den begriff Regionalität in einem weiteren und einem engeren Sinn. Im weiteren Sinn zeichnet Regionalität einen epischen Raum dann aus, wenn er geographi­sche Referenz hat, wobei wiederum rein fiktive Geographien, wie sie in phan­tastischer und utopischer Literatur Vorkommen, ausgeschlossen bleiben. «Dadurch hat der regionale Roman gewissermaßen eine natürliche Affinität zu iterarischem Realismus. (...) Der fiktional entworfene regionale Raum verweist

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