Heft 
(1993) 55
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Seite liegen, oder berühre sie nur leise. Briefe die dam als von in Ber­lin und in der Mark lebenden Leuten geschrieben wurden, wür­den mein bestes Material sein." 77 So ist Fontane auch bei der Niederschrift der Wanderungen vorgegangen, die formale und geistige Verwandtschaft beider Werke ist gar nicht zu übersehen, und es mag in diesem Zusammenhang kenn­zeichnend sein, daß sich Vor dem Sturm und die Wanderungen durch die Mark Brandenburg nicht nur in ihren Entstehungsdaten, sondern auch inhaltlich über­schneiden. Fontane hat ganze Abschnitte wortwörtlich aus dem einen Manu­skript in das andere übernommen - und zwar wechselseitig. Während in den Wanderungen jedoch ganz heterogene Vorgänge aus verschiedenen Epochen der märkischen Geschichte behandelt werden, erörtert der Roman den großen, durch einen Anstoß von außen bewirkten historischen Moment. Das Unge­wöhnliche wird erzählt, das alle provinzielle Enge sprengt. Es wird von der Mark, aber nicht nur um der Mark willen erzählt, und der Erzähler verfügt über eine Perspektive, die ihn zu solcher Darstellung befähigt.

3.Von den Tudors auf die Puttkamers"

Dieser Erzähler ist ein ironischer Geist, der in souveräner Weise sich selbst in die Darstellung einbezieht. Die autobiographische Anspielung erfolgt so dis­kret, daß man sie glatt überlesen mag - überliest man sie nicht, kann man die Raffinesse Fontanescher Gesprächskunst bereits in diesem ersten Roman nur bewundern.

Im KapitelKleiner Zirkel" ist von der Symbolkraft von Ringen sehr verschie­dener Provenienz die Rede. Zunächst geht es um den soeben verliehenen Kon­firmationsring des Kronprinzen (UmschriftOffenbarung Johannis 2, V. 10 , alsoSei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben ), sodann um die sechs Trauringe des achten Heinrich von England, derenKol­lektivausstellung... zu sonderbaren Betrachtungen führen müßte." 78 Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß sich bei solchen Gesprächen die Geister scheiden, und daß sich auch die Handlung des Romans fast unmerklich weiterbewegt - die Entfremdung Kathinkas von Lewin vergrößert sich. Als sie einen der anwesen­den Herren auffordert, von besseren Ringen als denen des englischen Königs Blaubart zu erzählen, erbietet sich dieser, von den drei Ringen der Puttkamers zu berichten, was zu der Bemerkung Anlaß gibt:Von den Tudors auf die Puttka- mers! Das ist denn doch ein Sprung." 78 Es ist eben der Sprung, den derals eine geschlagene Truppe" 80 aus England heimgekehrte Fontane absolviert hat, der eine historische Erzählung um Heinrich VIII. und seinen Kanzler Kardinal Wolsey unvollendet ließ und stattdessen der Autor märkischer Stoffe geworden ist. Die Konversation im 'kleinen Zirkel' dauert, scheinbar absichtslos, an: Der nächste Ring, von dem geplaudert wird, ist ein Erbring der Bredows, Lewin - er trägt Züge des jungen Fontane - berichtet von ihm, und seine Erzählung mündet unauffällig in den Bibelsatz:Wen Gott lieb hat, dem müssen alle Dinge zum besten dienen." 87 Denselben Satz wird später Tante Schorlemmer zitieren, er ist das eigentliche Schlußwort des Romans, auf den nur noch die Auszüge aus Renates Tagebuch folgen. Dichterischer Gerichtstag über sich selbst und Erwählungsbe-

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